Der Heimweg
DAS MÄDCHEN geht in den Kindergarten im Ort.
Er ist nur eine Ecke von der Wohnung der Eltern entfernt. Man muss noch nicht einmal eine Straße überqueren.
Nun ist das Mädchen schon ein Vorschulkind und hat viele Freunde, die ganz in der Nähe wohnen.
Deshalb entsteht die Idee, dass das Mädchen mittags alleine mit einem Jungen, der nebenan wohnt, nach Hause geht.
Die ersten Male steht die Mutter auf der Straße, um die Kinder schon von weitem zu sehen.
Aber als das alles gut klappt, bleibt sie im Haus und wartet darauf, dass das Mädchen klingelt.
Ganz stolz ist es dann immer.
Heute klingelt es lange nicht. Die Mutter wird unruhig.
Als sich eine Viertelstunde später immer noch nichts rührt, ruft sie im Kindergarten an.
Die Leiterin ist am Telefon und verspricht, in der Gruppe nachzufragen.
Kurz darauf ist sie wieder da: „Sorry, sorry, die beiden sind noch gar nicht losgeschickt worden! Die spielen noch ganz friedlich hier. Das haben die Kolleginnen leider einfach vergessen. Aber jetzt gehen sie los!“
Die Mutter atmet auf.
Als sie Ihre Tochter am nächsten Tag in den Kindergarten bringt, spricht die Gruppenleiterin sie an:
„Wir haben noch einmal darüber nachgedacht. Wir denken, es ist besser, Sie holen Ihre Tochter doch mittags wieder ab. Sie ist einfach noch nicht so weit, um alleine nach Hause zu gehen!“
Ab da holt die Mutter das Mädchen wieder mittags ab. Der andere Junge geht weiterhin allein nach Hause.
Traurige Geschichte!
Der Junge und das Mädchen sind ein gutes Team und haben den Heimweg ganz prima hinbekommen!
Die Gruppenleiterin hätte die beiden bestärken sollen!
Sehr schöne Illustration!
Sie zeigt, wie die beiden Verantwortung füreinander übernehmen.
Wenn manche Eltern die Selbstständigkeit der Kindern fördern wollen ist nicht gewollt und wenn sie dies nicht tun und den Kindern auf Schritt und Tritt verfolgen dann werden sie als Helikopter Eltern bezeichnet.
Hauptsache die Kompetenz der Eltern in Frage stellen!
Meine Gedanken zu dieser Geschichte:
Die Selbständigkeit des Mädchens hat sich durch den Vorfall nicht geändert, insofern ergibt die Reaktion der ErzieherInnen objektiv keinen Sinn.
Die ErzieherInnen reagieren vermutlich aber viel weniger auf ihren Fehler, das Vergessen des Heimschickens, sondern auf den Anruf der Mutter, der einen großen Schreckmoment bei den ErzieherInnen auslöst, denn ein Kind ist möglicherweise verschwunden, noch dazu ein sehr kleines Kind mit Behinderung, das wahrscheinlich nur begrenzt auf eine eigene Notlage selbständig aufmerksam machen könnte.
Es ist vermutlich der Gedanke der eigenen Verantwortlichkeit, sowohl persönlich als auch rechtlich, der die ErzieherInnen zum Umdenken bewegt, auch wenn sich sich Situation hier auf den Heimweg bezieht, der ja eigentlich nicht mehr unter ihrer Aufsicht steht. Möglicherweise wird den ErzieherInnen hier auch bewusst, dass es hier gar keine konkrete Rechtslage gibt, bzw. sie selbst diese einfach nicht kennen.
Inklusion bei Kindern und Jugendlichen beinhaltet für ErzieherInnen / LehrerInnen viele neue Verantwortlichkeiten, die aber oft weder inhaltlich noch rechtlich exakt geklärt werden und im schlimmsten Fall bei Personalmangel rein physisch nicht mehr umsetzbar sind, so dass sie eine böse und andauernde Grauzone für die tägliche Arbeit heraufbeschwören. Je nach zufälligem Kollegium wird dann sehr lässig bis überstreng mit dieser Problemlage umgegangen und neue junge KollegInnen passen sich dem Mainstream an ihrem Arbeitsplatz an.
Hier Klarheit zu schaffen, durch Supervision und inhaltsbezogene Fortbildung, z.B. bei medizinischen und juristischen Themen, die weder außerhalb der Arbeitszeit stattfinden noch von den ArbeitnehmerInnen selbst finanziell getragen werden müssen, wäre ein echtes Zeichen, dass Inklusion als hoher Wert ernst genommen wird und würde diese inhaltlich voranbringen – tatsächlich aber gilt im sozialen Bereich all das als purer Luxus, den wirklich niemand mehr verlangen kann.