Dafür

Die Mutter DES JUNGEN besucht eine Podiumsdiskussion.
Auf dem Podium werden viele kluge und nicht so kluge Sachen gesagt.
Einige der kurzen Statements sind beeindruckend und bekommen viel Applaus.
Eine Podiumsteilnehmerin sitzt im Rollstuhl. Ihr Beitrag ist der letzte.
Über ihren Beitrag denkt die Mutter auch noch nach dem Ende der Veranstaltung nach.
Dann steht sie noch mit ein paar Besucherinnen, die sie flüchtig kennt, zusammen.
Man diskutiert über die Beiträge.
„Und wie fandest du die Dame am Ende?“, fragt die Mutter eine Bekannte.
„Also“, sagt diese, „dafür, dass sie behindert ist, fand ich sie ziemlich gut!“

Die Geschichte vorgelesen …

Mittelalter

Die Familie DES JUNGEN besucht einen Mittelaltermarkt. Dort ist auch eine andere Familie. Ihr Sohn geht in dieselbe Vorschulgruppe im Kindergarten.
Während sich die Jungs begeistert mit Holzschwertern einen kleinen Kampf liefern, unterhalten sich die Erwachsenen:
„Er freut sich schon so auf die Schule“, sagt die Mutter des anderen Jungen, „ich hoffe, die ganze Gruppe kommt in eine Klasse! Dann fällt der Übergang ja viel leichter. Schau mal, wie die beiden miteinander umgehen und so viel Spaß haben. Sie kennen sich ja jetzt auch schon lange.“
Die Eltern des Jungen schauen traurig. „Wir wären schon froh, wenn wir wüssten, in welchem Stadtteil und in welche Schule unser Sohn kommt. Das entscheidet das Schulamt erst nach Pfingsten, vielleicht auch erst kurz vor den Sommerferien“, sagt die Mutter.
Sie schaut auf die beiden Jungs, die jetzt auch Ritterhelme ergattert haben: „Nur eins steht schon fest: Auf unsere Grundschule, so wie dein Sohn, kommt er nicht.“
Die anderen Eltern sind erstaunt: „Aber gibt es nicht schon seit Jahren ein Recht auf Inklusion im Gesetz?“, fragt der Vater.
Die Eltern des Jungen nicken: „Ja, so nennt man das. Mit den Gruppenlösungen an irgendeiner Schule, die wir nicht aussuchen dürfen.“
Der andere Vater schüttelt den Kopf: „Das ist nicht wirklich ein Fortschritt, oder? Irgendwie ganz schön mittelalterlich!“

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Der Keks

Die Mutter DES JUNGEN ist mit ihm in der Stadt unterwegs.
„Der ist aber groß geworden“, sagt die Verkäuferin im Bioladen, „wie alt ist er denn jetzt?“
„Fragen Sie ihn doch selbst“, antwortet die Mutter.
Die Verkäuferin schaut jetzt den Jungen an.
„20“, sagt der etwas kurz angebunden.
„Ach, nein, wie die Zeit vergeht“, seufzt die Verkäuferin und wendet sich wieder an die Mutter. „Ich kann mich noch gut erinnern: Ich habe ihm einmal, da saß er noch in der Karre, einen Dinkelkeks geschenkt. Den hat er sich auch sofort in den Mund gesteckt hat – und dann sofort wieder ausgespuckt!“
Die Mutter murmelt etwas von „daran erinnere ich mich kaum noch…“ und verlässt zügig mit ihrem Sohn den Laden.
Als sie draußen sind, sagt der Sohn grinsend: „Mama, ich erinnere mich noch gut. Der Keks hat scheußlich geschmeckt!“

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Gemeinsame Klasse

Die Mutter DES JUNGEN trifft eine ehemalige Nachbarin wieder. „Inzwischen bist du schon Oma und dein Enkel geht in die erste Klasse“, staunt sie.
„Ja“, antwortet die ehemalige Nachbarin, „und stell Dir vor: Mit ihm zusammen wurden vier geistig behinderte Kinder eingeschult. So richtig inklusiv. Meine Tochter und die meisten anderen Eltern waren zuerst alles andere als begeistert. Aber mittlerweile ist das in der gemeinsamen Klasse super organisiert. Da kommt stundenweise eine extra Lehrerin. Und zwei Betreuerinnen sind immer da, so dass die Behinderten meist als Gruppe für sich sind.“
„Eine gemeinsame Klasse ist das ja eigentlich nicht wirklich“, merkt die Mutter an. „Das hätte ich für meinen Sohn nicht haben wollen.“
„Es hat aber viele Vorteile, so wie die das machen“, entgegnet die Nachbarin: „Die Klassenlehrerin kann sich mehr um ihre eigentlichen Schüler kümmern. Die Behinderten sind unter ihresgleichen und auch gut versorgt. Außerdem: In den Fächern, wo das nicht so drauf ankommt, also Musik und Sport, sind wieder alle zusammen. Und auf dem Pausenhof.“

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