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Gescheitert

Die Mutter DES JUNGEN trifft eine andere Mutter, die sie aus einer Elterninitiative kennt.
„Sag mal“, sagt sie, „geht deine Tochter gar nicht mehr auf die Grundschule bei euch im Ort?“
„Nein“, sagt die andere Mutter, „sie ist inzwischen auf der Sonderschule. Die Inklusion ist gescheitert!“
„Wie, gescheitert?“, fragt die Mutter des Jungen nach.
„Meine Tochter ist mit den Raumwechseln nicht klar gekommen: Vom Klassenraum in den Kunstraum oder in die Turnhalle. Da hätte sie jemanden gebraucht, der sie an die Hand nimmt. Und eine Schulbegleiterin haben wir dafür nicht bekommen.“
„Und die Lehrerin? Hätte die das nicht machen können?“
„Können schon“, die Mutter seufzt, „aber sie hat es nicht gemacht. Sie fasst keine Kinder an, hat sie gesagt. Und niemand könne sie dazu zwingen!“

Ladenhilfe

DIE JUNGE FRAU arbeitet schon seit fast ein Jahr als Ladenhilfe in einem Delikatessengeschäft.
Sie füllt Regale auf, hilft beim Einpacken und serviert Getränke im Stehcafe, das zum Geschäft dazugehört.
Dort räumt sie gerade auf, als eine Kundin den Laden betritt. Diese begrüßt die junge Frau verblüfft: „Du arbeitest hier? Das ist eine Überraschung! Ich hatte schon gehört, dass du nicht in die Werkstatt gegangen bist…“
Und dann wendet sie sich direkt an die Chefin, die neben der jungen Frau steht: „Wissen Sie: Ich war während der letzten Schuljahre die zuständige Sonderpädagogin. Wie haben Sie das nur geschafft, sie so fit zu bekommen? Bei den Voraussetzungen hätte ich sie eher im Förder- und Betreuungsbereich der Werkstatt gesehen!“
„Ach“, antwortet die Chefin, „wir sind hier ja nur Laien. Wir haben einfach ausprobiert, was klappt und was nicht, weil wir die junge Kollegin sehr mögen und gerne in unserem Team haben möchten.“
Und dann lächelt sie kurz und sagt: „Vielleicht macht das den Unterschied aus.“

Scheußlich

Die Mutter DES MÄDCHENS sitzt im Café.
Am Nachbartisch unterhalten sich zwei Frauen. Eine kommt der Mutter irgendwie bekannt vor.
„Und, habt ihr noch die inklusive Klasse?“, fragt die eine der Frauen.
„Nein“, antwortet die andere, „die haben wir aufgelöst!“
Nun weiß die Mutter: Das ist die Lehrerin, die sie einmal auf einer Veranstaltung gesehen hat.
„Zum Glück haben wir die aufgelöst“, erzählt die Lehrerin weiter, „die Eltern waren scheußlich! Überall wollten die mitreden, immer wieder Feedback haben und geben und angeblich inklusives Denken einbringen.“
„Ja, und wie habt ihr das gemacht?“, fragt die andere Frau nach.
„Ach, das war einfach: Ein Schüler war ohnehin zu alt. Bei einer Schülerin haben wir ausführlich begründet, dass wir gar kein Potential mehr sehen. Und bei der dritten Familie haben wir gesagt: Mit der Mutter reden wir nicht mehr, nur noch mit dem Vater. Die haben dann von sich aus ihre Tochter abgemeldet. Und schon war der Spuk vorbei!“

Im Bus

Die MUTTER DES JUNGEN trifft eine andere Mutter und deren Tochter. Die Kleine wurde gerade erst eingeschult. Sie besucht aber nicht die Grundschule am Wohnort, sondern wurde vom Schulamt einer anderen Schule zugewiesen, in der Kinder mit und ohne Behinderung unterrichtet werden.
Das Mädchen kuschelt sich an seine Mutter und gähnt.
„Na, du bist aber müde“, sagt die Mutter des Jungen, „Schule ist ganz schön anstrengend, oder?“
„Nicht die Schule“, antwortet die andere Mutter, „sondern das frühe Aufstehen. Der Bus kommt schon um 6:40 Uhr!“
„Und wann fängt die Schule an?“, fragt die Mutter des Jungen nach.
„Erst um 8 Uhr. Aber das Amt für Beförderung sagt: Anderthalb Stunden pro Fahrt sind zumutbar.“
„Oh je …“, sagt die Mutter des Jungen mitfühlend.
„Na ja, so schlimm ist das auch nicht, gell, Mäuschen?“ Die andere Mutter nimmt ihre Tochter in den Arm: „Du fährst ja so gerne Bus!“
