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Der Kochkurs

„Du warst gestern Abend nicht da, oder? Ich habe versucht, dich anzurufen.“
Die Mutter DES MÄDCHENS trifft eine Bekannte.
„Nein, gestern Abend war ich bei einem ‚inklusiven Kochkurs‘ bei der Volkshochschule“, antwortet die Bekannte.
„Ah, spannend…“, sagt die Mutter, „die Volkshochschule hat ja mit ihren vielen inklusiven Kursen wirklich groß Werbung gemacht.“
„Ja, so bin ich auch drauf gekommen. Aber so richtig in der Volkshochschule war ich nicht, sondern in einer Werkstatt für Behinderte. Da fand der Kurs statt. In dieser Ecke der Stadt war ich ja noch nie. Ich habe das erst gar nicht gefunden…“
„Und wie war es so?“, fragt die Mutter des Mädchens weiter.
„Naja … “, die Bekannte zögert etwas. „So la la. Ich war die einzige Teilnehmerin ohne Behinderung. Die anderen kamen alle aus dem Wohnheim, das da ganz in der Nähe ist. Ich habe mit zwei netten jungen Frauen, die so ähnlich behindert sind wie deine Tochter, den Kartoffelbrei für das Menü zubereitet. „Hausmannskost modern“ war ja der Titel des Kurses. Das war auch ganz toll vorbereitet – alle Arbeitsschritte so mit Bildern und in leichter Sprache. Aber ich glaube, so einen Kurs mache ich nicht noch mal. Kartoffelbrei krieg ich auch noch so hin!“

Der Raum 2

„In der Bildungswegekonferenz wurde uns gesagt: Ein Differenzierungsraum ist DAS Mittel für Inklusion“, erzählt die Mutter DES JUNGEN in der Elterngruppe.
Die inklusive Klasse drohte sogar zu scheitern, weil der Raum zunächst nicht frei war.
Aber jetzt könne er genutzt werden.
„Und wie läuft das so?“, fragt ein Vater.
„Leider nicht so, wie wir uns das gedacht haben“, berichtet die Mutter:
„In dem Raum sitzen fast immer die Kinder mit Behinderung mit ihrer Schulbegleitung. Sie sollen dann die Arbeitsblätter bearbeiten, die die Sonderpädagogin dagelassen hat. Sie ist ja nur stundenweise da.“
„Und deshalb ist der so wichtig für Inklusion?“, fragt der Vater weiter.
„Nein!“ Die Mutter des Jungen lacht bitter. „Er ist das perfekte Werkzeug, um möglichst viel zu trennen!“

Der Raum

„Wir haben jetzt übrigens endlich einen Differenzierungsraum für unsere inklusive Klasse“, erzählt die Mutter DES MÄDCHENS in der Elterngruppe.
Direkt neben dem Klassenraum liege der. Er sei jetzt freigeräumt und renoviert worden. Sogar ein Sofa stehe drin. Und eine Verbindungstür zur Klasse sei extra eingebaut worden.
„Hast Du keine Angst, dass darin jetzt immer die Kinder mit Behinderung sitzen?“, fragt ein Vater skeptisch.
Die Mutter lacht. „Nein, gar nicht! Meine Tochter war erst einmal dort. Denn der Raum ist unheimlich begehrt. Alle Schüler wollen dort rein. Sie können dort in Ruhe lesen oder sich selbst oder zu zweit laut vorlesen. Sie können mal konzentriert eine eigene Aufgabe bearbeiten. Und sie können auch einfach mal kurz Pause machen, wenn ihnen alles zu viel wird.“
„Das kann ich gut verstehen“, sagt eine andere Mutter, „so etwas bräuchte ich auch neben unserem Großraumbüro!“

Einmal

Die Mutter DES JUNGEN ist eingeladen. Bei der Podiumsdiskussion kommen auch Mütter zu Wort, die sich für ihre Kinder – so steht es in der Einladung – „bewusst“ für die Sonderschulen entschieden haben.
Nach dem Ende der Veranstaltung kommt eine davon auf die Mutter des Jungen zu.
„Meine Tochter hatte es immer gut in der Schule“, sagt sie.
„Alle allgemeinen Schulen, die ich mir angeguckt hatte damals, haben gleich abgewunken: So schwer Behinderte könnten sie nicht unterrichten.“
Die Mutter des Jungen nickt. „Ja, das immer noch traurige Realität.“
„Oft war meine Tochter in der Sonderschule im Snoezel-Raum“, fährt die andere Mutter fort, „das war schön. So mit sanftem Licht und leiser Musik. Viele viele Stunden hat sie dort verbracht…“
Sie macht eine Pause. Dann sagt sie:
„Aber wissen Sie: Ich habe mir so oft gewünscht, dass sie einmal in einem Kreis mit anderen Kindern ohne Behinderung sitzen könnte. Eines der Kinder nimmt sie an die Hand. Alle singen. Meine Tochter hört zu und ist mittendrin. Einmal. Nur einmal.“
