Anerkennung

Zwei Nixklusionsmännchen mit Wachsmalkreise gemalt, sie halten sich an der Hand, das Bild ist getrennt (zerrissen), so dass sie getrennt sind.

„Überlegen Sie es sich doch bitte noch mal!“ Die Mutter DES JUNGEN versucht alles, um die Schulbegleiterin zum Bleiben zu überreden.
Denn die war ein Glücksfall. Endlich einmal hatte alles gepasst. Für den Jungen. Aber für die Schulbegleiterin nicht.
„Wenn ich bleibe, heißt das: Noch ein Jahr Mindestlohn“, sagt diese. „Keine unbefristete Stelle. Wenn ich krank bin, habe ich ein schlechtes Gewissen, weil es nie Vertretung gibt und Ihr Sohn dann oft zu Hause bleiben muss.“
„Mein Sohn mag Sie so sehr“, versucht es die Mutter noch einmal, „und die Lehrerinnen waren auch immer so zufrieden.“
„Danke für das Lob“, sagt die Schulbegleiterin. Sie wird eine feste Stelle in der Ganztagsbetreuung antreten. „Dort werde ich nach Tarif bezahlt, habe Fortbildungen und Supervision, vielleicht werde ich Teamleiterin oder kann noch ein Aufbaustudium machen.“
„Aber Sie bekommen doch in der Schule jetzt so viel Anerkennung“, gibt die Mutter zu bedenken.
„Ja, Anerkennung schon“, sagt die Schulbegleiterin, „aber in der neuen Stelle wird diese Anerkennung auch bei der Bezahlung und in den Rahmenbedingungen sichtbar.“

Zwei Nixklusionsmännchen mit Wachskreide gemalt. Sie halten sich an der Hand, aber da ist das Bild zerrissen und sie sind getrennt.

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Sprünge

Collage: Schwimmbad mit 3-Meter-Turm und Nixklusionsmännchen, das springt. Ein anderes sitzt auf der Bank neben dem Becken.

2017

DER JUNGE ist mit seiner großen Schwester im Schwimmbad.
Er kann sehr gut schwimmen, tauchen und springen.
Deshalb sitzt seine Schwester entspannt am Rand des Beckens.
Der Junge springt abwechselnd mit einem Mädchen vom Startblock.
Köpfer und möglichst viel spritzen – sie feuern sich gegenseitig an.
Dann öffnet das Drei-Meter-Brett. Der Junge stellt sich sofort an.
Das Mädchen traut sich nicht recht und geht zurück zu seiner Mutter, die in der Nähe sitzt.
„Kennst du den behinderten Jungen eigentlich?“, fragt die Mutter.
Die Tochter schaut sie mit großen Augen an: „Da war kein behinderter Junge!“
„Doch“, sagt die Mutter, „der mit dem besonderen Gesicht, der so komisch gesprochen hat.“
Das Mädchen guckt immer ratloser.
Die Mutter ist jetzt leicht genervt: „Nun bist du die ganze Zeit mit dem behinderten Jungen ins Wasser gesprungen! Nun sag mir doch einfach, ob du den schon vorher kanntest!“
„Ach, den meinst du“, antwortet das Mädchen, „dann sag doch gleich: Der Junge, der jetzt vom Dreier springt!“

Collage: Schwimmbad mit 3-Meter-Turm und Nixklusionsmännchen, das springt. Ein anderes sitzt auf der Bank neben dem Becken.

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Studientag

Nixklusionsmännchen, guckt grummelig, hält Zettel in der Hand. Viele Fragezeichen drumherum.

Als es um die Einschulung DES MÄDCHENS ging, haben die Eltern lange mit sich gerungen.
Dann schließlich haben sie sich für die Sonderschule entschieden.
Die Ganztagsschule, die umfassende Förderung und die kompetenten Sonderpädagogen hatten den Ausschlag gegeben.
Heute nun bringt die Tochter einen Zettel mit nach Hause.
Ein „Studientag“ wird darauf angekündigt. Die Mutter liest neugierig.
Dann schüttelt sie den Kopf. „Hör mal“, sagt sie zu ihrem Mann, „da steht: Bedauerlicherweise sind derzeit viele Lehrkräfte erkrankt, auf Fortbildung oder auf schulischen Veranstaltungen außer Haus. Wir verfügen nicht mehr über ausreichend Vertretungskräfte. Ihre Kinder werden also für Mittwoch mit Aufgaben versorgt und vom Unterricht in der Schule befreit.“
„Und das nennt sich ‚Studientag‘?“, fragt der Vater ungläubig.
„Ja“, antwortet die Mutter, „das steht oben groß drüber. Wer studiert denn an dem Tag mit unserer Tochter, wer beaufsichtigt sie, erklärt ihr die Aufgaben und kümmert sich?“
„Ich fürchte“, antwortet der Vater, „einer von uns. Der, der sich Urlaub nehmen kann!“

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Das Orchester

Nixklusionsmännchen mit Geige und Noten drumherum (Collage).

von 2019

Die Erzieherinnen hatten viele Ängste und Vorbehalte. Doch die Mutter hatte sie überzeugt: DAS MÄDCHEN durfte in den Dorfkindergarten.
Der Einschulung an der Grundschule war eine monatelange Auseinandersetzung vorausgegangen. Die Schulzeit selbst war geprägt von ständigen Diskussionen über Lernziele und Förderung.
All die Jahre hatte sich die Mutter auch noch um die Freizeit ihrer Tochter gekümmert: Beim Ballett war sie, in der kirchlichen Jugendgruppe und konnte beim örtlichen Reitverein mitmachen.
Jetzt ist aus dem Mädchen eine junge Frau geworden.
Die Mutter hat ihre alte Begeisterung fürs Geigenspiel wiederentdeckt.
Das Mädchen arbeitet in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung. Bald wird es in eine Wohngruppe ziehen.
Die Mutter sagt, dass es ihrer Tochter in der Einrichtung ganz gut gefällt.
Die Mutter spielt mittlerweile in einem inklusiven Orchester.
Sie freut sich über die Reisen und genießt die Auftritte sehr.
Sie sagt: Das Orchester ist wichtig, um Inklusion voranzubringen. Weil es Menschen mit Behinderung ermöglicht, sich auch einmal in der Welt außerhalb von Werkstatt und Wohneinrichtung zu bewegen.
Sie sagt, dass sie das Unverkrampfte und die Leichtigkeit in diesem Projekt liebt.
Die Mutter sagt nicht, dass sie keine Kraft mehr hat, weiter für ihre Tochter zu kämpfen.

 

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