Projekte

2017

DAS MÄDCHEN ist in der ersten Klasse. Es hat andere Lernziele als die Grundschulkinder. Schulleiter, Klassenlehrerin, Eltern und Sonderpädagogin treffen sich zur Planungsrunde.
Der Start ist gelungen. Da sind sich alle einig. Die Klassenlehrerin wünscht sich mehr Unterstützung beim Anpassen des Lernstoffes für das Mädchen. „In Deutsch zum Beispiel…“ setzt sie an.
Die Sonderpädagogin unterbricht sie: „Da muss ich ein wenig die Erwartungen bremsen…“, sagt sie.
Und dann holt sie aus: Sie freut sich, als Fachfrau die Schule zu begleiten. Natürlich wäre es gut, wenn es mehr als nur 4 Stunden seien. Da müsse sie nun einmal Schwerpunkte setzen. Es gebe ja so viele tolle Projekte, die eine inklusive Beschulung unterstützen. Und dann zählt sie auf:
„Ich plane ein Anti-Mobbing-Projekt für die Klasse, damit das Mädchen niemals zum Mobbingopfer wird. Parallel dazu bereite ich ein Kunstprojekt vor, bei dem das Mädchen seine kreativen Potentiale entfalten kann. Und dann informiere ich mich gerade über ein Sportprojekt, bei dem die sozialen Fähigkeiten der Mitschüler gesteigert werden.“
Die Klassenlehrerin murmelt noch etwas von „Mathematik“, aber da hat die Sonderpädagogin schon energisch gesagt: „Mehr geht jetzt wirklich nicht!“
Bei der Verabschiedung drückt der Schulleiter den Eltern fest die Hand. „Kriegen wir schon irgendwie hin…“, sagt er leise und seufzt.

 

Die Geschichte vorgelesen …

Model

(zum Welt-Down-Syndrom-Tag 2024)

Die Mutter DES JUNGEN MANNES bekommt einen Anruf. Ein Bekannter, der in einer Agentur arbeitet, ist am Telefon: “Wir suchen für eine Titelgeschichte in einem Magazin einen jungen Mann mit Down-Syndrom. In den Artikeln geht es um Arbeit und Inklusion. Da haben wir an deinen Sohn gedacht.”
Die Mutter fragt ihren Sohn. Doch der winkt gleich ab.
Nach einiger Zeit trifft die Mutter ihren Bekannten wieder. Der erzählt: “Wir haben übrigens noch einen tollen jungen Mann gefunden. Lustig und fröhlich, so wie die mit Down-Syndrom eben sind. Und ein bisschen moppelig, aber so richtig knuffig. Ein echtes Hingucker-Foto.”
“Ok”, sagt die Mutter, “und wo hat der seinen inklusiven Arbeitsplatz? Hier in der Nähe?”
Der Bekannte stutzt. “Ne, darum ging es uns nicht. Den haben wir in einer Werkstatt für Behinderte gefunden. Er ist ja nur als Model fotografiert worden.”

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Die Einladung

2019

Die Patentante des MÄDCHENS ist bei einem neuen Kollegen eingeladen.
Es gibt Kaffee und Kuchen.
Eine kleine Runde, auch die Frau des Kollegen ist dabei.
Sie erzählt: Von ihren drei Kindern und ihrer vollen Stelle.
Sie ist Sonderpädagogin.
„Komm, nimm noch mal vom Kirschkuchen“, sagt sie lachend, „sonst kann ich morgen keinen neuen backen und muss noch mehr Kirschmarmelade einkochen!“
„Wie Du das alles schaffst…!“ Die Patentante ist beeindruckt. „Du musst doch sicher auch noch die ganze Unterrichtsvorbereitung am Wochenende machen!“
Sie weiß aus der Familie des Mädchens, dass es dort viel um passgenaues Fördermaterial geht und es viel Zeit und Mühe kostet, dies zu finden.
„Ach, halb so schlimm“, wehrt die Frau des Kollegen ab „weißt du: Ich mach‘ mir das Leben nicht unnötig schwer! Ich schau‘ immer, dass ich eine unserer Klassen für geistig behinderte Schüler bekomme. Ich hab da Einiges an fertigem Material für Vorschulkinder. Irgendwas davon passt immer. Und ich lasse meine Schüler viele Mandalas malen, gehe mit ihnen auf den Schulspielplatz, oder wir machen zusammen Pudding. Diese Kinder sind ja schon mit ganz einfachen Dingen so zufrieden!“

 

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Komplimente

Die Mutter DES JUNGEN ist mit ihm in der Stadt unterwegs. Sie kaufen ein. Im Buchladen. Im Kaufhaus.
Schon für die erste Verkäuferin in der Herrenabteilung hat der Junge ein Kompliment: „Sie sind sehr hübsch!“
Auch im Buchladen sagt er der Kassiererin: „Sie haben sehr schöne Augen“. Die Kassiererin lacht ein bisschen verlegen.
Als Mutter und Sohn schon fast aus dem Bio-Supermarkt raus sind, ruft der Junge der Verkäuferin, die die Regale einräumt, noch hinterher: „Sie haben wirklich schöne Haare!“
„Nun reicht’s aber mal“, sagt die Mutter streng zu ihm.
„Ach, lassen Sie ihn doch“, erwidert die Verkäuferin. „Den ganzen Tag bin ich immer nur anranzt worden und habe in angespannte und unfreundliche Gesichter geschaut.“
Und zum Jungen gewandt sagt sie: „Du hast meinen Tag gerettet!“

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