Die Katastrophe

2018

DER JUNGE geht in die erste Klasse der örtlichen Grundschule.
Seine Kindergartenzeit war schwierig. Wenn es stressig wurde, hatte er immer mal wieder Spielsachen auf den Boden geworfen oder ein anderes Kind gehauen.
Das steht alles in seiner Akte.
Die haben die Lehrer, der Sonderpädagoge und die Rektorin natürlich gelesen.
Am ersten Schultag weist die Klassenlehrerin die Schulbegleitung an: „Bitte halten Sie sich nie weiter als eine Armlänge vom Jungen entfernt.“
Dem Jungen fällt es schwer, Kontakt zu seinen Mitschülern zu bekommen. Nur bei Bewegung und Spiel lässt er sich auf gemeinsame Aktionen ein. Sport ist sein Lieblingsfach.
Doch der Sonderpädagoge sieht gerade den Sportunterricht kritisch. Zu unstrukturiert, zu unübersichtlich – Gift für ein Kind mit der Diagnose des Jungen.
Deshalb werden die Einzelförderstunden des Jungen auf die Zeiten des Sportunterrichts gelegt. Und auch sonst nimmt der Sonderpädagoge ihn so oft wie möglich aus der Klasse heraus.
Der Junge mag das nicht. Als der Sonderpädagoge ihn im Musiksaal auffordert, mit ihm  zu kommen, reagiert er nicht. Als der ihn am Arm ziehen will, schubst er ihn weg. Der Sonderpädagoge stolpert gegen ein Xylophon. Klangstäbe und Schlägel purzeln auf den Boden. Einige Kinder springen erschrocken auf.
Am nächsten Tag müssen die Eltern zur Rektorin kommen. „Eine Katastrophe“ sei das mit dem Jungen, sagt sie. Die Musiklehrerin weigere sich, ihn weiter zu unterrichten. Und auch andere Lehrer hätten nach dem Vorfall gestern schwere Bedenken.
„Ich habe schon mit dem Schulamt gesprochen“, sagt sie abschließend, „wir haben wirklich alles probiert. Aber so macht Inklusion keinen Sinn! Alles andere als die Sonderschule kommt für Ihren Sohn pädagogisch überhaupt nicht in Frage!“

 

 
Großes Hoz-Xylophon, Nixklusionsmännchen stolpert darüber (Collage).

Die Geschichte vorgelesen …

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