Ein Wohnheimplatz
Berufswegekonferenz in der Schule.
Anwesend sind neben DEM JUNGEN und seinen Eltern auch eine Vertreterin des Sozialamts, der Arbeitsagentur und des Integrationsfachdienstes. Und natürlich die Lehrer.
Alle sehen den jungen Mann in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung.
„Und dann müssen Sie sich auch bald nach einem Wohnheimplatz umsehen“, sagt der Sonderpädagoge.
„Ich dachte, es geht hier um seine berufliche Zukunft!“ Der Vater ist irritiert.
„Ja, aber der nächste Schritt nach der Unterbringung in der Werkstatt ist die Unterbringung in einem Wohnheim“, ergänzt die Dame vom Sozialamt.
Der Junge schüttelt den Kopf.
„Woanders zu wohnen, das war bislang noch gar kein Thema“, sagt die Mutter. „Er ist gerade 18 geworden. Seine großen Brüder wohnen auch noch zu Hause. Und einer von ihnen ist schon mit dem Studium fertig.“
„Das ist ja auch was anderes…“, wirft die Dame vom Sozialamt ein.
„…wir wollten es wenigstens erwähnen“, ergänzt der Sonderpädagoge.
Als die Konferenz zu Ende ist, nimmt die Mutter den Jungen, der immer ziemlich verwirrt guckt, in den Arm, und sagt: „Wir müssen gar nichts!“
Die Dame vom Sozialamt meint es wohl besonders nett, wenn sie in einem Satz gleich 2 mal von “Unterbringung” spricht. Es ging hier um die berufliche Zukunft eines Jungen. Es wäre schön, wenn die Ausdrucksweise in solchen Gesprächen auch dem wertschätzenden Miteinander angepasst würde. Ja, mancher spricht von Unterbringung, wenn er sein Haustier während der Ferien in eine Tierpension oder ein Tierheim bringt. Aber hier geht es um einen jungen Mann und seine Familie, denen sicherlich auch sehr an einer wertschätzenden Wortwahl gelegen ist. Was das Wohnen betrifft, gibt es inzwischen glücklicherweise so viel mehr Möglichkeiten als ein reines Wohnheim. Dafür brauchen die Eltern zwar wieder Kraft und Zeit, aber das lohnt sich.
Inhaltlich bin ich bei Ihnen. Zeit und Kraft für die Auswahl oder Zeit und Kraft zum ‘aus dem Boden stampfen’? Ein Krankenhaus, die Dichte der Arztpraxen muss ich als Bürger auch nicht im aktiv anstoßen und umsetzen. Gibt es perspektivische ‘Bedarfsermittlungen’ von Bezirk, Stadt, Kreis ? Wer nimmt die Konversion der Komplexeinrichtungen und anderen Wohnformen lokal in die Hand nachdem die Politik bei der Inklusion schon gedacht hat, es entwickelt sich alles von alleine? Wer übernimmt die Qualitätssicherung von kleineren flexibleren Wohneinheiten ? Auch hier wieder die gesamte Bandbreiten an unterschiedlichen Bedürfnissen und Interessenlagen auf Seiten der Angehörigen und der MmB.
“Dann schauen Sie mal, wo Sie einen Wohnheimplatz finden und wie es dann mit der Werkstatt in der Nähe klappt.” sagte man uns, als meine Tochter 13 war. Und ich dachte so: “Hmm, ist das nicht die falsche Reihenfolge? Und was ist mit ihren Interessen – was, wenn die nicht zur “Werkstatt in der Nähe” passen? Und warum soll sie eigentlich mit 18 ausziehen – das würde ich doch von einem gesunden Kind auch nicht zwingend erwarten?”
Inzwischen ist sie 17, ich weiß nicht, wie es nächstes Jahr weitergeht, aber bislang sehe ich sie weder in der Werkstatt noch in einem Wohnheim für Behinderte.
Angesichts der oft jahrelangen Wartezeiten finde ich es nicht so absurd, sich frühzeitig Gedanken über die spätere Wohnsituation zu machen – zumal die Eingewöhnungsphase erfahrungsgemäß mit zunehmendem Alter nicht leichter wird.
Woher kommt eigentlich der Glaube, dass man Eltern ständig frühzeitig auf das Sondersystem hinweisen müsste? Die allermeisten von uns haben sowieso schlaflose Nächte wegen all dieser Themen, lange bevor sie akut werden.
Wir wurden auch immer wieder drauf aufmerksam gemacht, dass unser Kind ja dann auf die Schule mit random-Förderschwerpunkt am Waldrand von Weitweghausen gehen kann ☝️ Das erste Mal als dieser Hinweis kam war sie 6 Monate alt.