Stress

Die Mutter DES JUNGEN hetzt durch die Stadt.
In einem Straßen-Cafe sieht sie eine Bekannte sitzen. Auch sie hat einen erwachsenen Sohn mit Behinderung.
Die Mutter will schnell weitergehen, aber die andere Mutter spricht sie an:
„Du siehst ja ganz schön gestresst aus…“, sagt sie.
Die Mutter nickt und erzählt: Dass der Junge jetzt bei seiner Arbeitsstelle andere Arbeitszeiten hat und sie vieles umorganisieren musste. Und dass er auch mal spontan anders arbeiten soll. Was auch wieder viel Aufwand bedeutet. Denn sich immer rechtzeitig fertig zu machen und alle Arbeitswege zum Betrieb alleine zu bewältigen, schafft der Sohn eben noch nicht ganz.
Nun nickt die andere Mutter. „Verstehe“, sagt sie. „Also, ich habe keinen Stress. Mein Sohn wird morgens um 7 mit dem Bus abgeholt in die Werkstatt. Und kommt nicht vor 16 Uhr zurück.“ Sie schaut auf die Uhr: „Ich habe also noch alle Zeit der Welt!“
Und dann fügt sie hinzu: „Aber jeder, wie er möchte, gell?“

Die Geschichte vorgelesen …

11 Kommentare

  1. Bruno Achermann sagt:

    Das Gespräch zwischen den beiden Müttern und insb. auch die Kommentare zur Geschichte machen zwei Sachen deutlich:
    – Es ist sehr un(ge)recht, dass die Sonderschule Kindern und Eltern bessere Unterstützungsangebote machen kann/darf als die Regelschule. Damit sich inklusive Systeme durchsetzen können, muss sich das unbedingt ändern. – Der Ausschuss der UN-BRK empfiehlt dem Unterzeichnerstaat, dass die Ressourcen in die Regelschule verschoben werden sollen.
    – Die bestehenden Bedingungen sind mit eine Ursache, weshalb inklusive Angebote von Eltern weniger genutzt werden als jene der Sonderschulen.

    Bei der nächsten Begegnung könnte die gestresste Mutter freundlich nachfragen, ob ihr Kind auch gemeinsam mit den Geschwistern und den Kindern aus der nahen Umgebung zur Schule gehen möchte, wenn das Angebot in der Regelschule dem Kind angepasst und die personellen, materiellen und räumlichen Ressourcen mindestens so gut wären wie in der Sonderschule.

    • Anonymous sagt:

      Also zuerst mal geht es hier ja gar nicht um inklusive Beschulung, sondern um Inklusion am Arbeitsplatz. Aber nun ja.
      Zum anderen ist nur teilweise richtig, dass alle Eltern lieber eine inklusive Beschulung wünschen, ergo deshalb ihr Kind auf eine Regelschule schicken würden, wenn die Bedingungen besser wären. Eltern haben oft ein gutes Gefühl dafür, was für ihr Kind das Beste ist.
      Manche wissen, dass ihr Kind eine kleine Klasse braucht, und zwar eine sehr kleine, mit weniger als zehn Schülern.
      Und die Erfahrung von Lehrern ist, dass in inklusiven Klassen ein effektives Lernen und sich Konzentrieren auf die Aufgaben oft gar nicht mehr möglich ist, wenn mehrere Lehrkräfte gleichzeitig etwas erklären.
      Warum Unterricht auf verschiedenen Niveaus in einem Raum? Einen Vortrag hält man doch auch nicht gleichzeitig auf verschiedenen Niveaus?
      Wenn ich einen Sprachkurs belege, melde ich mich doch auch nicht bei den Fortgeschrittenen an, die wenn ich Anfänger bin?

      • Claudia sagt:

        Also ich kenne tatsächlich einige Eltern, die die Förderschule wegen dem enormen Aufawand der inklusiven Beschulung wählen. Nicht alle haben die Resourcen, das zu stemmen. Und beim Arbeitsmarkt ist es das Gleiche, ich würde sogar behaupten, dass es noch extremer ist, denn alleine um dorthin zu gelangen, müssen so viele Hürden genommen werden.

        Zur Beschulung in Förderschulen und Regelschulen. Ich hoffe doch stark, dass auch Förderschulen differenzierten Unterricht leisten. Unterrichten auf einem Niveau ist zumindest in Schulen mit Schwerpunkt Geistige Entwicklung nicht möglich, wenn man die Förderung ernst nimmt. Diese Kinder bringen derart unterschiedliche Voraussetzungen mit, die eigentlich viel mehr Differenzierung bei 8 Kindern erforderlich machen würden, als 25 Kinder in der Regelschule ( inklusiv inklusiv beschulten Kindern).
        Das wird leider gerne übersehen. Alle GE, alle ein Niveau ist nicht realistisch!

        • Anonymous sagt:

          Aber genau aus diesem Grund ist doch Förderbeschulung oft viel mehr an die individuellen Bildungsbedürfnisse des Kindes angepasst!
          Kleine Klassen mit 6-9 Schülern, relativ große Räume mit Rückzugsmöglichkeiten, eine weitere Lehrkraft oder Hilfskräfte, viele Möglichkeiten der Differenzierung und der individuellen Förderung, die in Klassen mit 25 Schülern gar nicht realisiert werden können. Auch Klassen mit 15 Schülern sind für viele GE Schüler noch zu groß.
          Am besten sich mal entsprechende Schulen anschauen.

  2. kipa sagt:

    Genau: Weil man selbst nicht ewig lebt, ist und bleibt Inklusion eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Voraussetzung ist natürlich, dass die “Gesellschaft” überhaupt Inklusion als Aufgabe sieht, erkennt und akzeptiert…
    Dies scheint mir mit Verlaub z.Z. zumindest noch eine hehre Illusion.

  3. Anonymous sagt:

    Hmm, klar jedeR wie sie möchte.

    Ich fände es aber schrecklich, die Mütter der Geschichte gegeneinander auszuspielen. JedeR muss mit den eigenen Kräften haushalten und darauf achten, dass man über die Jahre nicht völlig über die eigenen Kräfte lebt. Welche Lebensgeschichte sich hinter der *entspannten* Mutter und ihrem Kind/ihren Kindern verbirgt, weiß man nicht. Wie es den beiden Jungerwachsenen geht, erfährt man auch nicht.

    • Anonymous sagt:

      Ja, jede Familie, jede Mutter muss die eigene Balance finden zwischen Einsatz und Kraft schöpfen. Es muss für alle stimmen, auch für die Geschwisterkinder.
      Jeder Fall ist anders.

  4. kipa sagt:

    Meine Erfahrung nach 35 Jjahren [!]; es gilt nicht nur: “Jeder, wie er möchte”, sondern hauptsächlich: “Jeder so, wie die Gesellschaft/Außenwelt… es möchte und zulässt”…

    • Anonymous sagt:

      Zynisch ist er vor allem, der letzte Satz.
      Es ist eben meist in unseren Familien nicht die Option, nicht die Wahl, gell?! Das “gell” ist auch echt frech.
      Denn der Weg der Freiheit außerhalb des Sondersystems ist soviel steiniger, unbequem, oftmals fast unmöglich. Selber Schuld, hieße das dann ja.
      Nein, es ist ein System hinter der Exklusion. Wer da mitmacht und diese Aussonderung unterstützt…, jeder wie er möchte, ne! Man muss auf das bequeme Mitlaufen nicht neidisch sein! Freiheit ist wertvoller.

  5. Susu K. sagt:

    Ich weiß nicht so recht. Man bekommt ein Kind ja nicht um sich dann den bequemsten Weg zu suchen. Man möchte doch, dass sein Kind das bestmöglichste Leben führt. Zumindest sehe ich das so.

    • electrolite sagt:

      Ja, allerdings kann man eigentlich davon ausgehen, dass die Kinder immer selbständiger werden und irgendwann allein zurecht kommen. Dass man sich auf eine Beraterposition zurückzieht, wenn die Kinder mal 20 sind.
      Das sieht anders aus, wenn das Kind eine Behinderung hat und deswegen nicht selbständig werden kann. Wenn dann der einzige Weg dazu, dass das Kind das bestmögliche Leben führt, bedeutet, dass man sich weiterhin so einbringt wie zu der Zeit, als das Kind 5 Jahre alt war, dann ist das Scheitern vorhersehbar. Alleine schon, weil man selber nicht ewig lebt.

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