Ladenhilfe
DIE JUNGE FRAU arbeitet schon seit fast ein Jahr als Ladenhilfe in einem Delikatessengeschäft.
Sie füllt Regale auf, hilft beim Einpacken und serviert Getränke im Stehcafe, das zum Geschäft dazugehört.
Dort räumt sie gerade auf, als eine Kundin den Laden betritt. Diese begrüßt die junge Frau verblüfft: „Du arbeitest hier? Das ist eine Überraschung! Ich hatte schon gehört, dass du nicht in die Werkstatt gegangen bist…“
Und dann wendet sie sich direkt an die Chefin, die neben der jungen Frau steht: „Wissen Sie: Ich war während der letzten Schuljahre die zuständige Sonderpädagogin. Wie haben Sie das nur geschafft, sie so fit zu bekommen? Bei den Voraussetzungen hätte ich sie eher im Förder- und Betreuungsbereich der Werkstatt gesehen!“
„Ach“, antwortet die Chefin, „wir sind hier ja nur Laien. Wir haben einfach ausprobiert, was klappt und was nicht, weil wir die junge Kollegin sehr mögen und gerne in unserem Team haben möchten.“
Und dann lächelt sie kurz und sagt: „Vielleicht macht das den Unterschied aus.“
Woher wusste die Sonderpädagogin dass die Frau neben der jungen Frau die Chefin ist? Hätte auch eine Arbeitskollegin der jungen Frau sein können oder eine Kundin. Sind Sonderpädagogen so minderbemittelt, dass sie jeden anquatschen, der in der Nähe ihrer ehemaligen Schüler*innen steht? Und was ist eigentlich das normale Leben? Da gibt es auch immer mal Schüler und Lehrer, die sich später wieder begegnen, als Kollegen, bei Behörden, beim Geldinstitut, im Sportverein und in vielen anderen Situationen. Ist das dann auch falsch, wenn der Lehrer/die Lehrerin freundlich gemeint von ganzem Herzen sagt “Das ich dich hier treffe, das hab ich dir damals gar nicht zugetraut”.
Mir hätten es meine Mathelehrer sicher auch nicht zugetraut, dass ich mal Mathe unterrichte.
Du sollst dir (k)ein Bildnis machen!?
Wahrscheinlich ist damit gemeint, wir sollen uns keine fixen Bilder von „Gott“ und den Menschen machen.
– Die junge Frau hat sich in einer wohlwollenden, anregenden Umgebung weiter entwickelt.
– Die Sonderpädagogin ist überrascht: Sie hat ihrer Schülerin zu wenig zugetraut.
– Der Leser freut sich mit der Chefin, dass diese Geschichte – trotz Sonderschule – möglich wurde!
Dank dem Zeichner für das Bild. Beide Menschen freuen sich.
Dank auch der Geschichtenerzählerin.
Starre Bilder, Vergleiche und in der Folge die Zuweisung in eine Sonderschule fixieren das Fremd- und das Selbstbild zusätzlich bei allen Beteiligten. Das schadet meist mehr als es nützt, ausser – im günstigen Falle – bei der Zuweisung der Ressourcen. Daher lassen wir es meist besser sein.
Ich frage mich gerade, ob es im Bildungsbereich keine Schweigepflicht gibt. Darf sie das einfach rausposaunen?
Darf sie nicht. Und wenn es der Datenschutz nicht verböte, dann zumindest ein gewisses emphatisches Empfinden 🙁
♥️