Die Abmeldung
DER JUNGE MANN lebt im Wohnheim.
Einmal in der Woche macht er Sport in der Inklusions-Gruppe eines Vereins im Ort. Die Trainer dort sind sehr engagiert. Sie holen ihn aus dem Wohnheim ab und bringen ihn auch wieder zurück.
Heute jedoch hat die Leiterin der Gruppe seine Abmeldung im Postfach.
Sie wundert sich: Er kommt doch immer so gerne, hat schon so viele Leute kennengelernt, ist beliebt, und die Bewegung macht ihm viel Spaß.
Dann sieht sie, dass nicht er die Abmeldung unterschrieben hat, sondern eine Mitarbeiterin des Wohnheims.
Die Leiterin ruft dort an.
„Wir haben jetzt auch ein Bewegungsangebot hier im Haus“, erklärt diese, „das ist für ihn viel praktischer. Da muss er nur runter in den Gemeinschaftsraum kommen. Die Sportgruppe in der Stadt war auch für unsere Mitarbeiterinnen immer ziemlich stressig: Sie mussten ihn erinnern, sich fertig zu machen, seine Sachen packen und immer pünktlich vor dem Haus stehen.“
„Aber er ist sehr glücklich in der Gruppe…“, beginnt die Übungsleiterin des Vereins.
Die Mitarbeiterin des Wohnheims unterbricht: „Glücklich ist er auch hier! Wir haben das mit ihm besprochen. Es ist so für alle das Beste.“
Wieviel „Aufwand“ bedeutet es für die Betreuer, ihn an den Termin beim Sport im Verein zu erinnern? Wie viel Aufwand bedeutet es für sie, seine Sachen zu packen und mit ihm vor dem Haus zu warten? Genau das, seine Betreuung, sollte doch ihre Tätigkeit umfassen. Seine Freude mitzuerleben, wenn er zum Sport im Verein gehen darf. Was machen die Betreuer stattdessen? Ihn zum Umziehen bewegen und zum internen Termin zu begleiten? Nein, ein Wohnheim darf nie so etwas nur aus solchen Gründen unterbinden. Schon gar nicht auf diese Art und Weise. Wo bleibt die Selbstbestimmung, das bisschen Freiheit, das man haben könnte? Oder ist da auch noch die Angst, der junge Mann könnte ausserhalb des Wohnheims gegenseitige Zuneigung zu einem jungen Mädchen ausserhalb des Wohnheims finden, z.B. im Verein? Was dann? Heisst es dann, es gäbe ja auch passende „Lösungen“ vor Ort im Heim, interne „Angebote“? Damit die „Betreuung“ einfacher ist? Einfacher für die Betreuer….
Haben Sie schon einmal in der „Behindertenhilfe“ gearbeitet? Kennen Sie die unterirdischen Personalschlüssel der Einrichtungen? Es ist wie in der Pflege – superdünne Personaldecke und wenn dann noch jemand krank ist, kann von Betreuung nicht mehr die Rede sein, eher von Verwaltung. Gleichzeitig muss jedes Kinkerlitzchen aufwändig dokumentiert werden, das nennt sich dann „Qualitätsmanagement“. Den Einrichtungen laufen natürlich die Fachkräfte weg und Nachwuchs gibt es kaum, was ich gut verstehen kann. Dann arbeiten in diesen Einrichtungen Menschen, die sonst keinen Arbeitsplatz finden. Katastrophal! Aber diese Dimension von „Nixklusion“ beleuchten die Autorinnen der Seite lieber nicht. Ist ja auch viel zu kompliziert. Es ist wesentlich einfacher sich aufgrund weniger Zeilen über einzelne Menschen aufzuregen anstatt sich zusammenzutun und die Struktur zu verändern. Schade! So wird sich nie etwas ändern.
Rechtfertigen Ihre Zeilen das Vorgehen der Abmeldung? Ich kann Sie beruhigen, ich arbeite in der „Behindertenhilfe“. Aber nicht als Betreuer oder Betreuerin vor Ort. Ich setze mich dafür ein, dass das Recht und die Würde im Vordergrund stehen. Es braucht dringend Stimmen, die sich einsetzen. Denn solange solche Dinge einfach hingenommen werden und Personal „davonläuft“, gleichzeitig scheinbar Personal eingestellt wird um überhaupt Personal zu haben, ist es noch ein weiter Weg. Dieser Blog gibt denjenigen eine Stimme, die diese dringend benötigen. Denn über diese Geschichte wird sehr deutlich: Es kann gehen, wenn sich darum bemüht wird. Einmal die Woche den jungen Mann bis zur Tür zu bringen, vorher seine Sachen zu packen und ihn nach dem Training an der Tür wieder in Empfang zu nehmen, sollte wirklich machbar sein anstelle ihn in das interne Training zu begleiten. Dies zu dokumentieren als gleichbleibendes Training ausser Haus ist auch kein allzu grosser Aufwand. Aber eben – es ist ein Aufwand. Wer den kleinen Aufwand scheut und dadurch die Freudenmomente des jungen Mannes untergräbt, der hat wohl auch sonst nicht so viel Freude am Tun. Jeder, wirklich jeder Betreuer und jede Betreuerin hat so viel mehr Freude am täglichen Arbeiten, wenn man -und wenn auch nur im Kleinen- eine Freude bereiten kann. Dies soll nicht die Leistung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter schmälern. Sondern einfach zum Nachdenken anregen.
Wo lesen Sie eine Rechtfertigung? Sie kennen die Arbeit in der Assistenz nicht, können aber den Dokumentationsauf-wand beurteilen. Das finde ich erstaunlich. Ich fordere bessere Personalschlüssel und keine Arbeitsverdichtung für Mitarbeitende.
Gerne lasse ich mich von Ihnen darüber informieren, was am Dokumentationsaufwand so viel höher ist. Einerseits das Bringen zum internen Turnen, andererseits das Bringen vor die Tür. Ich würde es ja noch einsehen, wenn der Transport bis zum Trainingsort auch noch gemacht sein müsste. Aber nein, die Abholung und das Bringen sind organisiert. Wenn Sie mir das bitte erklären könnten, dann ersehen Sie was ich mit „Rechtfertigung“ meine.
Es ist immer einfacher, nach mehr Personal zu fragen. Es ist schwierig, dass hier eingespart wird. Aber das soll bitte nicht dazu führen, dass dem jungen Mann es nicht vergönnt ist, zumindest einmal die Woche nach draussen zu kommen, mit den Menschen im Verein Kontakte zu pflegen.
Richtig
Der Kommentar von Anonymous, 1.07.2022 um 9.23 Uhr
„Richtig“ , bezieht sich auf Kommentar von
Abc, 1.07.2022 um 6.44Uhr
Kann sein, dass es „einfach“ wäre, den JUNGEN MANN an das Training zu erinnern und ihn zu unterstützen bei den Vorbereitungen. Aber woher wissen wir das so genau? Sind wir alle dabei? Sind die Eltern dabei, ist die Trainerin dabei? Geht er wirklich gerne? Das wird angenommen, es gibt auch Anzeichen dafür.
Trotzdem weiß ich aus Erfahrung mit meiner Tochter, dass die Situationen ganz unterschiedlich ausfallen können. Ist die Begeisterung da für etwas und ist sie gerade ganz gesund, geht es oft ganz fix mit dem Fertigmachen zum Weggehen, obwohl sie für alles Hilfe braucht. Aber wenn sie irgendwas stört und sie kann es nicht mitteilen, sei es, es geht ihr gesundheitlich nicht so gut oder sie findet die Sportgruppe nicht mehr interessant oder die bisherige Betreuerin ist nicht mehr da, gibt es ordentlich Widerstand, und es ist nicht immer leicht, herauszufinden warum! Und man kommt nicht vom Fleck! Man braucht viel Zeit und Aufwand!
Vielleicht macht der JUNGE MANN auch besser mit, wenn alle anderen in der Gruppe sich auch für den Sport richten, und wenn er nicht der einzige ist, der jetzt gerade, wo doch irgendwas anderes in der Gruppe so spannend ist, in SEIN Training gehen soll?
@Anonymus, 29.6., 18:34 Uhr
Das haben Sie wirklich super erkannt: die beiden Autorinnen sind absolut unwillig sich zu engagieren und fanatisch darauf bedacht, falsche Strukturen zu bewahren!🤣🤣🤣
Schade, dass Sie nicht sachlich antworten können.
Volle Zustimmung
Grausam!
Schon alleine, damit er andere Leute trifft, Freundschaften außerhalb des Wohnheims pflegt!
In welcher „Hinterwäldlereinrichtung“ soll es denn noch solche MA geben, wenn das wirklich ein reales Geschehen ist? Man kann nur den Kopf schütteln!
Viele Leute die in der sog. Behindertenhilfe arbeiten, checken‘s einfach nicht. Würden sie ihre Meinung ändern, wenn man es ihnen erklärt oder wollen sie es nicht checken?
Wie immer:
die sind vom Fach und wissen von daher viel besser, was gut für die behinderten ist (und vor allem für sich selbst…)
Wie das „Besprechen“ ausgesehen hat würde mich interessieren…
Wessen Interessen sind werthaltiger?. Wessen Interessen werden verwirklicht? So sieht Abhängigkeit aus. Ob das Gespräch so neutral und manipulationsfrei war?
Aaaaarrrrghhh 🤬