Die Vesper-Box
„Und dann muss ich mit Ihnen noch über die Vesper-Box Ihres Sohnes sprechen!“
Die Sonderpädagogin hatte die Mutter DES JUNGEN zum Förderplangespräch eingeladen.
„Was ist denn damit?“, fragt die Mutter.
„Da ist jeden Tag immer dasselbe drin: Schwarzbrot mit Salami und drei Gurken.“
„Ja, das ist richtig“, bestätigt die Mutter.
„Ich finde es wichtig, dass Ihr Sohn lernt, auch etwas anderes zu essen!“, sagt die Sonderpädagogin, „das ist für mich ein Ziel im lebenspraktischen Unterricht.“
Die Mutter stutzt.
„Er ist Autist. Er will nichts anderes essen in der Schule, sondern genau das. Das ist ihm sehr wichtig!“
„Aber er muss das lernen…“. Die Sonderpädagogin wird lauter.
„Nein, das muss er nicht“, antwortet die Mutter.
Das Gespräch endet in schlechter Stimmung.
Die Mutter ist schon aufgestanden und hat ihre Sachen zusammengepackt, als die Sonderpädagogin sagt: „Und ob er wirklich Autist ist, das sei mal dahingestellt. Auf jeden Fall verwöhnen Sie ihn viel zu sehr!“
Puh! Das ist ja mal wieder eine Geschichte, bei der einem beinahe die Sprache wegbleibt.
Denn es geht nicht nur um den Inhalt der Brotdose. Das zeigt nicht nur der letzte Abschnitt, das zeigt sich in der ganzen Geschichte. Und das macht mir Angst um all das, was das Kind sonst noch in der Schule erleben muss.
Das, was der Junge in seiner Brotdose hat, ist einigermaßen ausgewogen. Man kann die Nase rümpfen über Salami, zu fett, zu stark verarbeitet, aber es gibt weitaus Ungesünderes. Und es ist ja noch nicht einmal alles, was er den Tag über isst. Bei Frühstück, Mittagessen und Abendessen gibt es noch genug Gelegenheiten, ein bisschen Abwechslung reinzubringen. Oder auch nicht, Hauptsache, am Ende kommt es mit Vitaminen und Nährstoffen einigermaßen hin. Um die Gesundheit geht es der Sonderpädagogin ja auch ganz offenbar nicht.
Sie will also mehr Abwechslung um der Abwechslung willen. Und sie will das Kind daran gewöhnen. Und sie zeigt, dass sie nicht die allergeringste Ahnung von Autismus hat. Oder dass sie sich anmaßt, besser diagnostizieren zu können als der Kinder- und Jugendpsychiater, der mit Erfahrung und ausführlichen Tests die Diagnose gestellt hat.
Abwechslung – das bietet die Schule in der Regel schon mehr als genug. Der Wechsel von Unterrichtsmethoden, Vertretungslehrer, vertraute Mtschüler, die manchmal nicht da sind. Das alles kann überwältigend und beängstigend sein. Da braucht es doch nicht unbedingt noch beim Essen Abwechslung. Abwechslung beim Essen – das sind dann womöglich Lebensmittel, deren Konsistenz oder Geschmack für das Kind unerträglich ist. Denn Autismus, das ist eben besonders auch eine erhöhte sensorische Belastung. Dass das Kind immer das Gleiche in der Schule isst, ist sicher auch das Ergebnis davon, dass es allzu häufig schon mit neuen Lebensmitteln schlechte Erfahrungen gemacht hat.
Dass die Sonderpädagogin das nicht weiß, sondern gerade diese Abwechslung zum Unterrichtsziel machen möchte, lässt Böses erwarten im Hinblick auf das, was sie sonst noch mit ihm im Unterricht macht. Wie oft sie eben nicht auf den Autismus Rücksicht nimmt, sondern gerade das Kind über seine Grenzen bringt, in einem Ausmaß, das bei einem nichtautistischen Kind nie so bewusst versucht werden würde.
Egal, ob sie dies aus Unwissenheit über Autismus macht, oder ob sie dem Kind die Behinderung und damit die passgenauen Hilfen aberkennen will – in jedem Fall richtet sie damit eine Menge Schaden an.
Ich als Förderschullehrerin und Mutter einer autistischen Tochter habe noch nie verstanden, warum ich in dieser Frage die heftigsten Diskussionen mit meinen Kolleg*innen führe und warum das Teil eines Förderplanes sein soll, der doch die schulischen Ziele darstellen soll. Sollen sie doch bitte ihre Arbeit richtig machen… und bitte auch erfolgreich dabei sein, die Essensauswahl zu variieren. Aber – OHNE quälende und übergriffige Machtkämpfe. OHNE diese Anmaßung eines nicht vorhandenen Expertentums. Ach – es macht mich so wütend. Mütter und Väter – lasst euch das bitte nicht gefallen! Sie haben nicht das Recht dazu! Und sie haben keine Ahnung!
Ich lese in den Geschichten über inkompetente Pädagog*innen (aus der Sicht der Autorinnen fast alle) ständig, dass “sie lauter” werden. Ist das Tatsache oder dramaturgisches Element? Ich erlebe beruflich auch eher schräge Pädagog*innen, aber das was ich hier lese, habe ich zum Glück noch nicht erlebt.
Was will diese Sonderpädagogin, die so mal eben die Diagnose in Frage stellt, eigentlich? Dieses Schulfrühstück ist doch sogar gesund. Gesünder als das, was meine Tochter auf eigenen Wunsch mitnimmt. Und sie ist keine Autistin. In ihrem Fall ist es mir auch wichtiger, dass sie überhaupt etwas isst (auch behinderungsbedingt). Was soll bloß dieser Zwang beim Essen? Kein erwachsener Mensch würde sich das bieten lassen.
Diese Geschichte macht mich sprachlos und wütend. Warum soll der Junge das lernen oder das müssen? Ich freue mich, dass die Mutter klar nein sagt und zu Ihrem Sohn steht.
Meine Söhne möchten beide seid Jahren immer das Gleiche in ihre Brotboxen (obwohl sie viele Alternativen haben und ich Ihnen anders anbiete). Da ist noch nie jemand auf die Idee gekommen zu sagen, dass sie lernen müssen was anders zu essen… das ist Ihr Frühstück und ihnen muss es schmecken!! Wir schreiben der Sonderpädagogin doch auch nicht vor, was sie zu essen hat….
Noch ein wichtiger Satz: „Das ist IHM sehr wichtig.“
auch “Nein” ist ein vollständiger Satz!
Den wichtigsten Satz hab ich in unserer Kinderklinik damals bekommen: “Sie sind der Experte für Ihr Kind!”
Großartige Mutter. “Nein das muss er nicht.” ist mein Satz des Tages ♥️
Ja, die Mutter verhält sich super. Der Satz ist goldrichtig.
Das Ziel der Sonderpädagogin scheint, sie wolle trotzdem den Willen den Jungen brechen. Auf Biegen und Brechen hin es schaffen, dass er etwas anderes isst. Ist dann ein Förderziel erreicht? Oder fühlt sich die Sonderpädagogin dann bestätigt in ihrem Gedanken, der Junge sei zu verwöhnt?
Es wundert nicht, dass sich immer mehr Eltern wünschen, dass die Bedürfnisse ihrer Kinder in der Sonderschule auf empathische Art rücksichtsvoll beachtet werden. Kinder mit Behinderungen dürfen gerne genauso ernst genommen werden wie alle anderen Kinder. Und auch die Eltern möchten als Eltern wahrgenommen werden, denen viel daran liegt, dass es ihren Kindern gut geht.