Der Ausstieg

Ein Spielzeugzug (ICE), davor aus Pappe ausgeschnitten ein Nixklusionsmännchen im Rollstuhl.

2017

Es war ein langer Tag. DER JUNGE im Rollstuhl ist mit seiner Mutter und der kleinen Schwester im Zug auf dem Weg nach Hause.
Da ertönt eine Ansage: „Im nächsten Bahnhof ist die Personenbeförderungsanlage defekt. Der Ausstieg für Fahrgäste im Rollstuhl ist deshalb leider nicht möglich…“
„Da kann man nichts machen“, erklärt der Schaffner der Mutter noch einmal persönlich: „Wir haben den Mobilitätsservice schon benachrichtigt und die Mitarbeiter von der Ausstiegshilfe zum nächsten Bahnhof umbestellt. Von dort aus haben Sie dann 45 Minuten später Anschluss mit einem Niederflurbus in Ihren Ort.“
„Aber das dauert Stunden. Und die Kinder sind schon todmüde! Kann uns nicht jemand beim Aussteigen helfen? Mein Sohn wiegt keine 40 Kilo, und der Rollstuhl ist auch nicht schwer“, bittet die Mutter.
„Nein, das geht nicht“, sagt der Schaffner. Der Zug rollt langsamer. Gleich wird er den Heimatort des Jungen erreichen.
Zwei junge Männer schalten sich ein: „Wir können Ihnen helfen, wir steigen hier sowieso aus.“ Die Mutter seufzt erleichtert.
„Nein, das geht nicht“, wiederholt der Schaffner etwas lauter, „wenn der Mobilitätsservice nicht da ist, darf der Rollstuhl nicht aussteigen!“ Dann läuft er wütend ins Schaffnerabteil.
Als der Zug hält, heben die beiden Männer nach Anweisung der Mutter den Jungen und seinen Rollstuhl aus dem Zug.
Über den Bahnsteig scheppert dazu die laute Stimme des Schaffners aus einem Lautsprecher: „Das Aussteigen des Rollstuhls ist hier verboten! Das Aussteigen des Rollstuhls ist hier verboten. Das Aussteigen…“
Die kleine Schwester fängt an zu weinen. Schluchzend sagt sie zur Mutter und den Männern: „Aber das ist kein Rollstuhl, der hier aussteigt. Das ist mein Bruder!“

 

Die Geschichte vorgelesen …

4 Kommentare

  1. B.ach., Luzern sagt:

    „Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist (…) der Wahlspruch der Aufklärung“ (I. Kant 1784, S. 481).
    Vor 240 Jahren hat Immanuel Kant mit diesem Satz das Zeitalter der „Aufklärung“ eingeläutet.
    Das bedeutet nicht, dass jede:r tun und lassen kann, was er/sie will. Aber jeder Mensch ist eingeladen und aufgefordert, mitzudenken.
    – Vielleicht könnten die beiden jungen Männer der DB eine schriftliche Rückmeldung schreiben, z.B. mit dieser Geschichte!?oder
    – Vielleicht könnte eine engagierte Mitreisende per SMS und auf den sozialen Medien auf die Bedeutung der Nachrüstung des Rollmaterials aufmerksam machen? u.a.

  2. Noname sagt:

    Die kleine Schwester – mit ihrer natürlichen Empathie – bringt es auf den Punkt. Nicht ein Vorgang ist abzuhandeln, sondern einem (jungen) Menschen samt Familie ist pragmatisch weiterzuhelfen. Danke an die tätigen Hände der jungen Männer.

  3. kine sagt:

    Schätze, der Fehler liegt im System. Möglicherweise kann der Zugführer haftbar gemacht werden, wenn etwas passiert wäre.
    Schuld daran trägt allein die Bahn als in dieser Beziehung unfähiges Unternehmen.

  4. Anne sagt:

    Das ist so falsch, dass es schon skuril wirkt. Bloß weil es der Bahn nicht möglich ist zu helfen, ist es doch nicht verboten ein- oder auszusteigen.
    Umgekehrt wäre es wahrscheinlich eher Freiheitsberaubung, wenn das Aussteigen (an einem Bahnhof) verboten wäre.
    Diese Geschichte reiht sich ein in eine ganze Masse skuriler Geschichten, die Rollstuhlfahrerinnen zu erzählen haben. Oft spielen, wie hier, schlecht geschulte Mitarbeiter der Bahn die Hauptrolle.

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