Auf Probe

DER JUNGE lernt in der Schule nach dem Förderschwerpunkt „Lernen“.
Mehr als einmal haben die Eltern bereut, sich überhaupt auf diese „Schonung, die Ihr Sohn braucht“ eingelassen zu haben.
Vor allem, seit sie verstanden haben, dass er so keinen Schulabschluss machen kann.
Seit Jahren versuchen sie, den Förderschwerpunkt loszuwerden. Denn sie hatten immer den Eindruck, dass er dem Unterrichtsstoff seiner Klassenkameraden gut folgen kann.
Immer wieder werden sie vom Schulamt und den Sonderpädagogen vertröstet: Ihr Eindruck sei nicht objektiv. Der Junge habe eben nicht nur motorische Einschränkungen. Es brauche Zeit, bis er auf dem Stand der Mitschüler sei.
Endlich haben die Eltern einen Teil-Erfolg: Der Förderschwerpunkt wird für dieses Schuljahr auf Probe ausgesetzt.
Heute haben sie einen Termin bei der Klassenlehrerin.
Nervös fragen sie nach dem Eindruck von der Leistungsstärke des Jungen.
Die winkt ab: „Da müssen Sie sich gar keine Sorgen machen! In zwei Fächern ist er Klassenbester. Und auch sonst überall im oberen Drittel dabei!“

Die Geschichte vorgelesen …

9 Kommentare

  1. Anonymus sagt:

    Gab es nicht einmal eine Initiative (auch von ähnlichen Fällen wie oben) , dass das sonderpädagogische Gutachten von einer dritten unabhängigen Seite erstellt oder gegengeprüft werden sollte? Die Einstufung in einen sonderpädagogischen Förderschwerpunkt hat bestimmt Einfluß auf zugeteilte Personalstunden, Arbeitsplätze und ähnliches.
    Schön, dass die Eltern nicht locker ließen und auch die Variante ‘Einstufung auf Probe’ durchgeboxt haben. Danke für die Courage der Klassenlehrerin.

  2. Anonymous sagt:

    Es gibt durchaus Kinder, die ihre Leistungen nicht zeigen können, wenn man ihnen das Gefühl gibt, dass man es ihnen nicht zutraut. Meiner Tochter wurde über die Handarbeitslehrerin nachgesagt, sie sei nur dazu fähig, Leim und Wolle zu holen, für alles andere reiche es bei ihr nicht. So sass sie auf Geheiss der Lehrerin da, begleitet von einer Assistentin, die aufpassen sollte, dass sie sich nicht verletzt in den Räumen der Handarbeitsstunde. So sollte eine Sonderschule her, da das Risiko einer Verletzung auf Dauer nicht tragbar war nach Aussage der Lehrerin und die Assistentin sich ja auch um andere kümmern sollte. In der Freizeit ging meine Tochter in einen freiwilligen Kurs, in dem sie fleissig mit der Nähmaschine arbeitete und schöne Kleider herstellte. Zudem durfte sie mit einer elektrischen Säge Holz aussägen. Hier stand zwar ein Betreuer dabei, aber voller Zutrauen. Sie verletzte sich nicht und schaffte schöne Basteleien und mehr. Verletzt wurde sie allerdings in der Schule, da die verletzenden Bemerkungen auch in ihrem Beisein zwischen Lehrerin und Assistentin ausgetauscht wurden, hörbar für die anderen Schülerinnen und Schüler. Diese lachten sie dann in der Pause aus als Kind, das ja nichts kann und in die Sonderschule gehen soll.

    • Nele sagt:

      Für ein Kind (vermutlich im Grundschulalter), welches nur handwerklich etwas ungeschickt ist, wurden nur deswegen die Eltern bedrängt das Kind in eine Förderschule zu schicken?

      • Anonymous sagt:

        Dass immer wieder aus mangelnder Motorik auf niedrige kognitive Fähigkeiten geschlossen wird, erleben viele Menschen mit einer Körperbehinderung und können davon erzählen. Ich denke, darum geht es auch in der Geschichte: Der Junge, wahrscheinlich als köperbehindert eingestuft, bekommt gleich noch mit den Förderschwerpunkt “Lernen”. Das kenne ich auch von meinem Bundesland: Manchmal um die Kinder “zu schonen”, wie es auch in der Geschichte steht”, die es doch schon mit ihrer Behinderung so schwer haben. Und so mancher Grundschule ist es sehr recht, dann noch zusätzliche sonderpädagogische Ressourcen zu haben, gerade wenn in der Klasse einige Kinder sind, die eine Lehrkraft überfordern.

      • Anonymous sagt:

        Das Kind hat sich Grundschulalter auch nicht getraut, laut in der Klasse vorzulesen. Als dann der Schulbesuchstag kam und die Eltern zusehen durften beim Unterricht und dann jeder in der Klasse zwei Sätze vorlesen sollte, wurde das Kind einfach übersprungen durch die Lehrerin. Das nachfolgende Kind sagte aber, es sei noch nicht dran und das Kind, welches übersprungen wurde, durfte dann vorlesen. Die Eltern waren dabei und freuten sich sehr, dass das Kind nicht nur vorlas (wenn auch langsamer und leiser), sondern auch Applaus von anderen Kindern in der Klasse bekam. Dass eines der anderen Kinder sagte: “Die kann ja lesen”, zeigte deutlich auf, dass hier mehr Potential vorhanden war als von der Lehrerin angenommen. Auf ein Gespräch hierüber wollte sich die Lehrerin dann aber nicht einlassen. Denn es wäre ja viel besser, einen “Schonraum” zu haben, anstatt die Förderung beginnen zu lassen. Denn sonst hätte man sich ja monatelang geirrt. In den anderen Fächern lief es ähnlich. Kein Wunder, es war ja bei der gleichen Lehrerin.

    • Anonymous sagt:

      Das ist ja fast eine Geschichte in der Geschichte. Zum letzten Drittel ihres Kommentars: für mich eine Missachtung des seelischen Kindeswohles durch Fachkräfte und absolut unprofessionelles Verhalten. Inklusive der zuhörenden bzw mitwissenden Erwachsenen. Sicherlich Grenzbereich unterlassene Hilfeleistung? Vorschub für das anschließende Hänseln/Mobben der Kinder? Vielleicht bedarf es ein Fresh-up durch die Jugendämter für alle Fachkräfte, welche mit Kindern/Schüler/Jugendlichen zu tun haben. Immer wachsam bleiben! Für ihre Familie wünsche ich für die Zukunft nur das Beste.

  3. Nele sagt:

    Keine Kommentare bisher, ja, die Wahrheit kann nicht so schmeichelnd sein.

  4. Nele sagt:

    Mit Förderschwerpunkt Lernen kann kein “Abschluss” erreicht werden? Das kenne ich anders. Wenn es sich abzeichnet, dass das Kind einen Abschluss schaffen kann, dann gibt es Wege. Ja, früher an den doofen Förderschulen, da konnte das Kind bei entsprechender Leistung dort einen Hauptschulabschluss bekommen. Die Story hier erscheint etwas merkwürdig. Wenn dass Kind über Jahre überdurchschnittliche Leistungen zeigt, dann hängt es nicht nur an der Meinung des Sonderpädagogen, um die Förderung zu beenden.

    • Anonymous sagt:

      Das kenne ich aus meinem Bundesland ebenfalls anders. Hier kann bei entsprechender Leistung sehr wohl ein Abschluss erreicht werden. Außerdem gibt es an den Berufsschulen ein- bis zweijährige Lehrgänge, die einen Schulabschluss zum Ziel haben. Übrigens ist ein Schulabschluss kein Garant dafür, dass man eine Berufsausbildung schafft. Ebenso wie kein Schulabschluss heißt, dass man nicht doch eine Berufsausbildung schaffen kann. Ich arbeite seit 20 Jahren in der beruflichen Bildung und habe einiges gesehen. Gerade in diesem Blog würde ich mir einen anderen Leistungs- oder Bildungsbegriff sehr wünschen.

      Ich verstehe die ganze Geschichte nicht. Der Junge ist behindert/nicht behindert? Der Junge ist behindert, weil der Sonderpädagoge es sagt?

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