Selbstverteidigung

DAS MÄDCHEN lernt an einer allgemeinen Schule.
Schüler mit einer Körperbehinderung seien überhaupt kein Problem, betont die Direktorin immer wieder öffentlich.
Aber das Mädchen mit Bewegungsstörungen hat es nicht leicht. Wenn es läuft, wollen seine Arme und Beine oft nicht so, wie es das Mädchen will. „Pferd“ nennen die Mitschüler es deshalb. Einer der Jungs schleicht sich regelmäßig von hinten an das Mädchen heran und kitzelt es, bis es das Gleichgewicht verliert und zu Boden geht. Niemand hilft ihr dann wieder auf.
Deshalb möchte das Mädchen einen Selbstverteidigungskurs machen. Die Eltern suchen lange, bis sie bei einer Beratungsstelle fündig werden: Ein Selbstbehauptungskurs „für Mädchen mit und ohne Behinderung“ wird angeboten. Die Kursleiterin, erfahren sie auf Nachfrage, sei sehr erfahren.
Als die Eltern ihre Tochter nach dem Kurs wieder abholen, weint sie. Was ist los?
Sie sei das einzige Mädchen mit Behinderung gewesen, berichtet sie.
Alle hatten erzählen dürfen, warum sie im Kurs sind. Aber als sie von den Vorfällen in der Schule erzählen wollte, hatte die Leiterin gesagt: „Das gehört nicht hierher! Außerdem ist deine Redezeit schon überschritten.“
Und weil das Mädchen nicht nur langsam spricht, sondern auch einige Übungen nur langsamer oder gar nicht machen konnte, hatten die anderen gelacht. „Keiner ist irgendwie auf mich eingegangen“, schluchzt das Mädchen.
Die Mutter wartet, bis die Teilnehmerinnen gegangen sind. Dann spricht sie die Kursleiterin an.
„Na ja“, sagt diese, „ich konnte doch nicht zulassen, dass Ihre Tochter erzählt, wie sie wegen ihrer Behinderung belästigt und beleidigt wird. Da hätten sich doch die anderen Mädels gleich angegriffen gefühlt!“
Und pikiert fügt sie hinzu: „Ich gebe viele Kurse an Sonderschulen, sogar für lernschwache Mädchen. Noch nie hat mir jemand etwas Ähnliches rückgemeldet! Ich glaube, Ihre Tochter ist einfach zu anspruchsvoll – oder zu empfindlich!“

Die Geschichte vorgelesen …

6 Kommentare

  1. Anonym sagt:

    Da haben eindeutig die Schulleitung und die Klassenlehrer versagt! Da hilft es einfach sich mit anderen Eltern zusammen zu tun und das Thema in Elternratsitzungen auf den Tisch bringen. Wenn die Schulleitung immer noch das Problem ignoriert einfach einen Kinderpsychologen mit ins Boot holen.Gutachten,Berichte von Psychologen können dann nicht ignoriert werden. Es kostet Eltern unglaublich viel Kraft und schlaflose Nächte( hatte ähnliche Probleme mit meinem Kind als es eine Sonderschule besuchte,und die Sonderlehrer mein Kind mobbten,als ich sie über die Missstände der Schule ansprach).Bei meinem Kind hat nur ein Schulwechsel geholfen.Der Kraftaufwand ist es aber wert. Mein Kind blühte in der neuen Schule richtig auf.

  2. Anonym sagt:

    Und die Sonderschulen geben sich dann als Retter in der Not an. Sie nutzen dies aus und geben an dass die behinderten Kinder dann den nötigen Schonraum nur in den Sonderschulen erhalten.Leider stellt sich das meist als eine Schonraumfalle.Kann nur hoffen dass die Mutter eine Schule für ihre Tochter findet,die auf ihre Bedürfnisse eingeht. Gut funktionierende Schulen haben sogar ein Psychologen(so war das zumindest bei meiner Tochter.) Die Schüler hatten einen sehr guten Draht zu der Psychologin der Schule und die Eltern waren glücklich,dass es sie gab.

  3. Anonym sagt:

    Da hat ihr Kind Glück gehabt. Unsere Grundschule ist ähnlich wie die des Mädchens. Offiziell macht sie aber keine Inklusion. Mein Sohn ist geistig topfit, nur motorisch eher an der unteren Grenze. Hat aber nach seinem 1. Geburtstag alle Meilensteine noch gerade so erreicht. Er wird seit Einschulung regelmäßig beschimpft und umgerempelt. Immer heißt es, er ist zu empfindlich. Anfangs hat er sich mit Worten gewehrt, da hieß es: die anderen wären ihm Sprachlich nicht gewachsen, er soll mehr einstecken. Seit etwa 6 Monaten wehrt er sich körperlich, das ist auch nicht recht, er ist als fast jüngster in der Klasse der größte und kräftigste und kann seine Kraft nicht dosieren. Aber er ist immer zu empfindlich (auch mit einem Selbstverteidigungskurs haben wir es probiert, mit ähnlichem Ergebnis wie bei dem Mädchen, nur hieß es, kann doch nicht sein, dass so ein großer Junge solche Probleme hat…), seine blutige Nase stört keinen, nur die von anderen ist schlimm.

  4. Anonym sagt:

    Schade, dass die Mutter nicht geantwortet hat: "Ach, dann habe ich etwas missverstanden. Ich dachte, dass in diesem Kurs auch Kinder mit Körperbehinderung mitmachen können. Und dass Sie sicherstellen können, dass jedes Kind von seinen Problemen berichten kann. Na, da haben wir ja Ihre Fähigkeiten doch ziemlich überschätzt."

  5. Anonym sagt:

    Ich bin Mutter eines behinderten Kindes und kriege Gänsehaut beim Lesen dieser Geschichte. Was ist das für eine Schule wo das Mädchen hingeht. Unternehmen Lehrer da gar nichts gegen Mobbing? Warum setzt sich die Schulleitung nicht ein,damit das Kind ein Schulbegleiter kriegt und nicht noch gezwungen ist sich Gedanken darüber zu machen ein Selbstverteidigungskurs zu besuchen? Die Schule ist das Letzte! Danke Gott dass die Lehrer in der Regelschule meines Kindes immer die Schüler zu Toleranz erzogen haben. In der Schule meines Kindes hätten die Lehrer gleich reagiert. In der Schule meines Kindes haben die Lehrer ganz tolle Erziehungsmethoden bei Schülern eingeführt,die andere ärgern. Solche Schüler werden dann in Oberstufenklassen für zwei Wochen versetzt. Die älteren Schüler erziehen solche Rebellen und bringen ihnen bei was gute Manieren bedeuten.Hat immer super geklappt!

  6. Fan des Illustrators sagt:

    Ohjeh!
    Da ist das Mädchen ja vom Regen in die Traufe gekommen!
    Die Geschichte ist sehr treffend und empathisch dargestellt.

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