Kategorie: Geschichten


Kekse

(2016, neu illustriert)

In der Klasse wird gebacken. Für den Bazar.
Der Schulbegleiter ist heute krank.
„Oh, Gott“, sagt die Lehrerin: Dann darf DAS MÄDCHEN nicht mitbacken.
Es ist schließlich geistig behindert.
Na ja, so schwierig ist das mit dem schon vorbereiteten Teig ja eigentlich nicht.
„Nein, das geht nicht!“,  sagt die Lehrerin.
„Ich könnte helfen“, schlägt die Mutter vor.
„Nein, das geht nicht!“, sagt die Lehrerin. Eltern haben keinen Zutritt.
Also muss das Mädchen nach Hause gehen.
Das Mädchen weint.
Die Mutter weint auch.
Aber sie wischt ihre Tränen weg, stellt sich in die Küche und backt selbst mit dem Mädchen.
Viele schöne Plätzchen.
Das Mädchen ist stolz und nimmt die Kekse am nächsten Tag mit in die Schule.
Die können ja mit auf dem Bazar verkauft werden.
„Nein, das geht nicht“, sagt die Lehrerin. Die sehen etwas anders aus.
Das Mädchen nimmt die Kekse wieder mit nach Hause.
Nachmittags zum Kaffee gibt es jetzt immer selbstgebackene Kekse.
Aber die schmecken nicht mehr gut.

Die Geschichte vorgelesen …

Ponyhof

Die Eltern DER JUNGEN FRAU sind gespannt. Ihre Tochter ist beim „Workshop für Interessenten in der geplanten inklusiven Wohngemeinschaft“ eines großen Trägers der Behindertenhilfe.
Auf so eine Chance hatten sie lange gewartet: Die Tochter kann wenig sprechen oder reflektieren. Aber ausziehen möchte sie, das äußert sie immer wieder. Dass sie dabei viel Unterstützung braucht, ist klar.
Um ein erstes Kennenlernen gehe es im Workshop und darum, ob das gemeinsame Wohnen passt. So stand es in der Einladung.
Als die Eltern die junge Frau abholen, ist sie guter Dinge: Es gab Nudeln zum Mittag, alle waren nett und sie habe ein Pferd gemalt.
Am nächsten Tag rufen die Eltern bei dem für den Workshop Zuständigen an. Wie es denn so gelaufen sei. Dieser berichtet:
„Wir haben viele Rollenspiele gemacht: Wie die Gruppe ein Wochenende verbringen oder die Hausarbeit aufteilen will. Da hat sich Ihre Tochter leider nicht konstruktiv beteiligt.“
„Sie haben doch viel Erfahrung, oder?“, fragt die Mutter überrascht nach, „haben Sie nicht bemerkt, dass unsere Tochter so nicht planen und kommunizieren kann?“
„Doch“, sagt der Mitarbeiter, „deshalb haben wir ihr ja auch Stifte und Papier gegeben, damit sie uns ihre persönlichen Wünsche rund ums Wohnen beschreibt. Dann hat sie ein Pferd gemalt…“
„Ihr Lieblingstier …“, wirft die Mutter ein.
„… und da haben wir gesehen“, fährt der Mitarbeiter fort, „dass es nicht passt.“
Und er lacht ein bisschen, als er sagt:
„Wir planen ja hier keinen Ponyhof!“

Die Geschichte vorgelesen …

Die da mit dem

Die Mutter DES JUNGEN arbeitet schon lange mit der Kollegin zusammen.
Nun hat sie ein Gerücht gehört.
„Sag mal“, spricht sie die Kollegin an, „stimmt das, dass du auch ein Kind mit Behinderung hast?“
„Ja“, sagt die Kollegin leise, „das stimmt. Meine Tochter ist schon 16.“
„Warum hast du nie etwas gesagt? Auch mir nicht?“, fragt die Mutter erstaunt nach.
„Ich will hier nicht die da, die mit dem behinderten Kind sein und darauf reduziert werden“, antwortet die Kollegin, „ich möchte für meine Leistung gesehen werden, als Führungskraft, als ganz normales Teammitglied. Schon privat bin ich immer nur als die Mutter, die ein behindertes Kind hat, bekannt.“
Die Mutter des Jungen überlegt. „Ja, das kenn ich“, sagt sie. „Diese Woche war ich beim Fleischer. Und die Verkäuferin, die es bestimmt nur nett gemeint hat, hat mir gleich erzählt, dass sie eine Reportage im Fernsehen gesehen hat. Und dass die alle so toll mit den Behinderten umgegangen sind. Und: „Da habe ich gleich an Sie gedacht!“
„Und genau das will ich hier in der Firma nicht erleben“, sagt die Kollegin bestimmt.

Die Geschichte vorgelesen …

Vermittlung

Die Mutter DES JUNGEN trifft eine Bekannte. Die beiden haben sich schon länger nicht mehr gesehen.
Die Bekannte schwärmt für den Berufsbildungsbereich, in dem ihre Tochter jetzt ist:
“Alles ist dort möglich”, sagt sie, “die arbeiten mit einem völlig neuen Konzept. Die jungen Leute sollen später möglichst auf einem Arbeitsplatz im Sozialraum arbeiten. So richtig betriebsintegriert.”
“Aha”, sagt die Mutter des Jungen, “das klingt interessant.”
“Hier …” – die andere Mutter gibt ihr einen Flyer, den sie aus der Tasche zieht. “Hier steht alles. Die haben eine beeindruckende Vermittlungsquote! Ich finde das so toll, dass meine Tochter dann richtig arbeiten kann, so mit Gehalt und ohne Grundsicherung. Das war ja eigentlich immer unser Ziel.”
Die Mutter überfliegt den Flyer.
Dann liest sie ihn gründlich.
Dann liest sie ihn noch einmal gründlich.
“Also, wenn ich das richtig verstehe”, sagt sie schließlich, “sind das alles Außenarbeitsplätze. Die werden nur anders genannt. Und mit Vermittlung meinen die: Die Vermittlung eines ausgelagerten Werkstattplatzes.”
Die andere Mutter bekommt ganz große Augen: “Echt?”

Die Geschichte vorgelesen …

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