Kategorie: Geschichten
Noch eine Abschlussfeier
2018
Abschlussfeier in der Hauptschule.
Auch DER JUNGE geht hier zur Schule, in eine Partnerklasse, die die Sonderschule hierhin ausgelagert hat.
Alle Schülerinnen und Schüler sitzen in der großen Aula und sind gespannt auf das Programm der Feier. Auch die Schüler mit Behinderung sitzen in einer Reihe. Alle sind festlich gekleidet und haben sich richtig schick gemacht. Auch die Eltern des Jungen sind heute hier.
Nach und nach werden alle Klassen auf die Bühne gerufen. Die Kinder erhalten ihre Abschlusszeugnisse. „Wann kommen denn die Schüler der Partnerklasse?“, fragt sich die Mutter des Jungen.
Dann singt der Chor. Der Schulleiter verabschiedet die Hauptschüler und zeichnet die Jahrgangsbesten aus. Die Schüler der Partnerklasse werden nicht erwähnt.
Die Mutter denkt: „Gleich platze ich! Ich geh nach vorne, schnapp mir das Mikrophon und sag was!“
Nur der warnende Blick ihres Mannes hält sie davon ab.
Dann ist die Feier zu ende.
„Komm, wir gehen jetzt wie besprochen schön essen“ sagt die Mutter zum Jungen und nimmt ihn in den Arm.
„Warum hast Du das denn nicht mit den Lehrern vorher besprochen?“, raunt der Vater ihr beim Rausgehen zu.
„Weil ich nie im Leben auf den Gedanken gekommen wäre, dass unsere Kinder heute überhaupt nicht berücksichtigt werden!“, raunt die Mutter zurück.
Mobbing
September 2017
Die Klasse des JUNGEN beschäftigt sich in einem Schulprojekt intensiv mit den Thema Mobbing.
Auch einen Film sehen sie dazu.
Den Jungen beschäftigt das Thema sehr.
Kurze Zeit später kündigt die Lehrerin an, dass bald ein neuer Junge in die Klasse kommt.
Er ist vor kurzem in den Ort gezogen.
Dann ist der Neue den ersten Tag da.
Der Junge mustert ihn genau.
Schließlich geht er zu ihm hin und sagt „Welcome!“
Dieses Wort hat er gerade im Englisch-Unterricht neu gelernt.
Dann legt ihm feierlich die Hand auf den Kopf und sagt:
„Keine Angst. Ich beschütz‘ dich!“
Auf dem Flur
2016
DAS MÄDCHEN hat ein Tischchen auf dem Flur der Grundschule.
Da sitzt es immer, wenn es nicht im Klassenzimmer ist.
Und das ist oft.
Bei der Mathelehrerin muss es mucksmäuschenstill sein.
Sie schickt das Mädchen immer auf den Flur.
Der Deutschlehrer lässt anspruchsvolle Aufsätze schreiben.
Da schreibt sie ihre kleinen Sätze eben auf dem Flur.
Und wenn der Englischlehrer zur Tür herein kommt, packt das Mädchen schon von alleine seine Sachen zusammen und geht auf den Flur.
Denn es weiß, dass der Lehrer findet, sie müsse ja nun wirklich kein Englisch lernen.
Dann kommt die Feuerwehr ins Haus.
Es geht um die Fluchtwege.
„Der Flur muss immer frei sein“, sagt der Brandmeister, „da darf niemand sitzen.“
„Inklusion können wir dann natürlich nicht mehr machen!“, sagt der Schulleiter.
Vorfreude
„Na, freut ihr euch schon auf die Schule?“, fragt eine Mutter in der Elterngruppe.
Die angesprochene Mutter seufzt.
„So ein bisschen. Ich hätte nicht gedacht, dass das alles so kompliziert wird.“
„Was war denn kompliziert?“, fragt eine andere Mutter.
„Unsere Tochter hat ja nur eine leichte Körperbehinderung, mit der sie gut klar kommt. Zuerst wollte uns die Grundschule eine sonderpädagogische Überprüfung aufdrängen. Und das Schulamt wollte sie in eine Gruppenlösung irgendwo weit weg stecken. Es hat Monate gedauert, bis das vom Tisch war.“
„Aber jetzt kommt sie in die Grundschule bei euch im Ort, oder?“, fragt eine andere.
„Ja, aber mit Schulbegleitung. Darauf hat die Grundschule für das erste Jahr bestanden. Man wisse ja nie…“
„Schon bewilligt?“, fragt ein Vater.
„Ja, nach langem Hin- und Her. Das Sozialamt hat am Anfang behauptet, zuerst müsse unsere Tochter sonderpädagogisch überprüft werden. Sonst gäbe es nix. Da haben wir doch tatsächlich eine Anwältin gebraucht, um klarzustellen, dass das nicht so ist.“
„Puh“, sagen zwei Mütter zeitgleich.
„So viel zum Thema Vorfreude.“ Die Mutter schmunzelt. „Gestern haben wir uns dann endlich getraut, den Schulranzen zu kaufen!“