Die Mutter DES MÄDCHENS sitzt im Café. Am Nachbartisch unterhalten sich zwei Frauen. Eine kommt der Mutter irgendwie bekannt vor. „Und, habt ihr noch die inklusive Klasse?“, fragt die eine der Frauen. „Nein“, antwortet die andere, „die haben wir aufgelöst!“ Nun weiß die Mutter: Das ist die Lehrerin, die sie einmal auf einer Veranstaltung gesehen hat. „Zum Glück haben wir die aufgelöst“, erzählt die Lehrerin weiter, „die Eltern waren scheußlich! Überall wollten die mitreden, immer wieder Feedback haben und geben und angeblich inklusives Denken einbringen.“ „Ja, und wie habt ihr das gemacht?“, fragt die andere Frau nach. „Ach, das war einfach: Ein Schüler war ohnehin zu alt. Bei einer Schülerin haben wir ausführlich begründet, dass wir gar kein Potential mehr sehen. Und bei der dritten Familie haben wir gesagt: Mit der Mutter reden wir nicht mehr, nur noch mit dem Vater. Die haben dann von sich aus ihre Tochter abgemeldet. Und schon war der Spuk vorbei!“
Die MUTTER DES JUNGEN trifft eine andere Mutter und deren Tochter. Die Kleine wurde gerade erst eingeschult. Sie besucht aber nicht die Grundschule am Wohnort, sondern wurde vom Schulamt einer anderen Schule zugewiesen, in der Kinder mit und ohne Behinderung unterrichtet werden. Das Mädchen kuschelt sich an seine Mutter und gähnt. „Na, du bist aber müde“, sagt die Mutter des Jungen, „Schule ist ganz schön anstrengend, oder?“ „Nicht die Schule“, antwortet die andere Mutter, „sondern das frühe Aufstehen. Der Bus kommt schon um 6:40 Uhr!“ „Und wann fängt die Schule an?“, fragt die Mutter des Jungen nach. „Erst um 8 Uhr. Aber das Amt für Beförderung sagt: Anderthalb Stunden pro Fahrt sind zumutbar.“ „Oh je …“, sagt die Mutter des Jungen mitfühlend. „Na ja, so schlimm ist das auch nicht, gell, Mäuschen?“ Die andere Mutter nimmt ihre Tochter in den Arm: „Du fährst ja so gerne Bus!“
Die Mutter DES JUNGEN engagiert sich seit vielen Jahren in der Selbsthilfe. Immer wieder melden sich bei der Initiative Eltern, die mit ihren Kindern inklusive Wege in der Schule gehen wollen. Einmal war die Mutter des Jungen bei einem Runden Tisch zur Einschulung eines Mädchens. An diesen Termin erinnert sie sich gut, weil er wirklich schwierig war. Sie musste all ihr Wissen und Ihre Erfahrung einbringen, damit das Mädchen am Ende in die allgemeine Schule durfte. Die Mutter des Mädchens war sehr dankbar: Sie werde zum nächsten Treffen der Initiative kommen, versprach sie, ihre Erfahrungen teilen, die sie jetzt in der Schule machen werde, andere Eltern unterstützen. Sie hatte nie wieder etwas von sich hören lassen. Jetzt klingelt bei der Mutter des Jungen das Telefon. Die Mutter des Mädchens ist dran: „Die Schulzeit ist jetzt fast zu Ende, nächste Woche ist Bildungswegekonferenz“, sagt sie aufgeregt, „dafür brauche ich Sie wieder! Sie haben mir damals so toll geholfen!“ Die Mutter des Jungen ist sprachlos. Dann antwortet sie: „Das ist neun Jahre her! Wo waren Sie denn all die Jahre?“ „Komische Frage“, sagt die Mutter des Mädchens, „na, hier, in dem Ort, den Sie kennen. Da war ich.“
Die Mutter DES JUNGEN trifft eine Freundin von früher. Als die Söhne noch klein waren, hatten die Familien viel zusammen unternommen. „Ich hab wenig Zeit“, sagt die Mutter des Jungen, „ich muss noch packen. Ich will morgen wieder mit meinem Sohn zum Skifahren!“ „Ach ja“, sagt die andere Mutter, „Schnee mag ich ja auch sehr…“ „Früher ist dein Sohn doch auch Ski gefahren“, erinnert sich die Mutter des Jungen. „Macht er das gar nicht mehr?“ „Nein, nicht wirklich!“ Die andere Mutter erzählt: Ihr Sohn wohnt jetzt in einem Wohnheim. Da wird die Freizeit überwiegend gemeinsam organisiert. Meistens wird gespielt oder ein Film angesehen. Manchmal gibt es auch kleine Ausflüge. Doch schon ein Schwimmbadbesuch ist schwierig und bedarf viel Vorbereitung. Und immer wieder ist zu wenig Personal da. „Aber man kann eben nicht alles haben!“, fasst die andere Mutter zusammen. „Ich mache ja auch nicht immer am Wochenende, was ich wirklich will!“