Das Netz

DAS MÄDCHEN kommt bald in den Kindergarten.
Seine beiden großen Brüder sind in der KiTa um die Ecke. Sie fühlen sich wohl dort.
Schon vor einiger Zeit ist die Leiterin auf die Mutter zugekommen und hat gesagt: „Wir freuen uns schon sehr auf Ihre Kleine!“ Denn natürlich kennen alle das Mädchen schon von Festen, von Familiennachmittagen und vom Abholen.
Doch die Mutter zögert.
Heute nun sagt sie den Platz ab: „Meine Tochter ist behindert“, sagt sie, „sie wird ihr Leben lang ein Netz unter sich brauchen, das sie auffängt. Und das fangen wir jetzt an, aufzubauen!“
Sie meldet ihre Tochter im Sonderkindergarten im Nachbarort an. Ein Bus holt das Mädchen von zu Hause ab. Und KiTa-Gebühren fallen auch nicht an.
Die Leiterin der KiTa um die Ecke informiert ihr Team, dass das Geschwisterkind doch nicht kommt.
„Das finden wir alle sehr schade“, sagt sie zur Mutter.

Die Geschichte vorgelesen …

16 Kommentare

  1. Anna sagt:

    Man kann doch von außen überhaupt nicht beurteilen, was die Eltern zu dieser Entscheidung bewogen hat. Wir hatten die Wahl zwischen verschiedenen Kindergärten, alle offiziell inklusiv, aber mit deutlichen Unterschieden in personeller und räumlicher Ausstattung und auch Erfahrung in dem für uns relevanten Bereich. Die einen waren schon beim Hospitationsbesuch überfordert, die anderen meisterten das spielend. Daher haben wir den letzteren gewählt, trotz deutlich hässlicherem Gebäude, weiterer Entfernung und seltsamer Vorurteile anderer, weil dort “so viele behinderte Kinder sind”, zu denen “unser Kind doch nicht gehört”..

  2. Anonymous sagt:

    Wer hier meint, dass der Mutter etwas unterstellt wird, scheint sehr einseitig zu denken. Es wird eher angenommen, dass das ach so tragende Netz im Hinblick auf die Abmeldung zu überschwänglich angepriesen wurde. Dass hier explizit erwähnt wurde, dass keine Kita-Gebühren anfallen, ist ja schon mal ein monetärer Vorteil. Auf den ersten Blick. Es gibt so manche Eltern, die den vermeintlich einfacheren Weg wählen. Die es gut finden, dass ihr Kind von zu Hause abgeholt wird und kaum Kosten anfallen. Es war in dieser Geschichte einfach so schön zu lesen, dass der Weg in die Integration und Inklusion geebnet war. Das wäre einen Versuch wert gewesen, anstelle der Abmeldung die Anmeldung zu belassen. Denn – und das ist der wichtige Punkt – es ging nicht um ja oder nein bei der Auswahl, sondern um das bewusste Abmelden.

  3. Lasse sagt:

    Warum wird hier so einseitig insistiert? Die Mutter (wo ist der Vater, der tritt auffällig oft in den Geschichten nicht in Aktion) kennt ihr Kind und, was nicht unwichtig ist, sie kennt die Kita. Wir außenstehenden Kommentatoren kennen weder Kind noch Kita. Welche Hilfe dieses Kind braucht, wie schwer es beeinträchtigt ist, die Mutter/Eltern können das sicher am besten einschätzen, was für das Kind gut ist. Die Eltern kennen die Kita und haben entschieden, dass diese nicht das Beste für ihr Kind ist. Die unverbindliche Ansage “wir würden uns über das Kind freuen” ist ein netter Willkommensgruß, völlig unverbindlich. Die Kita überschwänglich zu loben und die Eltern zu verurteilen ist unangebracht.

  4. A. sagt:

    Und ich dachte schon, die üblichen Verdächtigen, die sonst immer empört „Sonderpädagogen-Bashing“ rufen, hätten hier einmal nichts zu kritisieren. Aber natürlich sind sie trotzdem zur Stelle, ausnahmsweise mal, um eine Mutter zu verteidigen!
    Die Botschaft ist leider die gleiche: immer schön weitermachen mit dem Nixkludieren! Wo kämen wir denn sonst auch hin? Womöglich würde sich ja was zum Guten verändern, und wer will das schon.

    • Xyz-2 sagt:

      Ich erkläre Ihnen gerne als selber von Behinderung Betroffene meine Haltung: Es gibt nicht den einen richtigen Weg. Dazu sind Menschen zu unterschiedlich. Was für den Einen super ist, ist für die Andere der blanke Horror, z.B. Werkstatt. Personenzentrierter Ansatz oder meinetwegen auch Individualisierung. In den USA gibt es Colleges ausschließlich in Gebärdensprache und Mädchenschulen. Es muss aber Wahlmöglichkeiten geben.

  5. Anonymous sagt:

    Eben. Die ELTERN haben die Expertise. Es gibt Kinder, die sich nur in kleinen Gruppen entfalten können, weil sie in einer übersichtlichen und ruhigen Struktur besser lernen können.
    Jedenfalls begrüße ich, wenn es die Wahlmöglichkeit gibt. Wenn ein Kind im inklusiven Kindergarten gute Voraussetzung für seine Entwicklung hat, warum nicht? Aber ein Sonderschulkindergarten ist nicht grundsätzlich “schlechter”, im Gegenteil, er kann auch die bessere Wahl sein. Meine langjährige Erfahrung mit 4 Kindern an verschiedenen Schularten: Es kommt zum größten Teil auf die Person an, die mit dem Kind umgeht. Da kann man einfach immer mal Pech oder Glück haben, egal auf welcher Schulart.

  6. Anonymous sagt:

    Die Mutter, die ihr Kind sehr gut kennt und im Zweifelsfall die ganze Verantwortung lebenslang für die Tochter trägt, hat eine Entscheidung getroffen, die aus ihrer Sicht für die Familie am besten ist. Ich finde, dass man das akzeptieren muss. Sie hatte die Wahl und das freut mich an der Geschichte. Dass Eltern die Entscheidungsfreiheit hatten und nicht vor Wände gelaufen sind. Ich weiß überhaupt nichts über das Mädchen, seine Bedürfnisse, die Familiensituation, die Situation der Mutter. Ich möchte die Entscheidung nicht bewerten. Ich finde es aber nicht richtig, der Mutter zu unterstellen, dass sie Inklusion verweigert.

  7. Anonymous sagt:

    Trotz allem: Die Eltern kennen ihr Kind am besten. Ich meine, man sollte deren Entscheidung respektieren. Wir kennen nicht alle Gründe dafür. Vielleicht braucht das Kind intensive mehrfache Unterstützung, die nicht von allen Pädagogen geleistet werden kann? Warum wissen wir das besser als die _Eltern?

  8. Robert Mueller sagt:

    Triggert einiges bei mir!
    Einerseits unser erstes institutionelle Trauma, beim Rauswurf aus dem privaten KiGa (man will ja das beste für sein Kind) – dann doch noch ein Happy Ending im städtischen integrativen KiGa.
    Und dann natürlich die Sache mit der Beratung, und speziellen Förderung, die ja nur Kinder mit Behinderung brauchen.
    In letzter Zeit auch wieder gehört: das alte Lied von der sogenannten “Wahlfreiheit” mit der manch Eltern konfrontiert werden – das Kind in ein gut ausgestattete segregative Welt zu schicken, oder in ein durch mangelwirtschaft darbende Umgebung?

    Da entscheiden sich viele für den scheinbar besseren Weg! Die Folgen merkt man erst am Übergang Schule Beruf/Wohnen/Freundschaft/Beziehung.

    • anno nymaa sagt:

      Bei uns war von vornherein klar, der Kindergarten muss einen “sonderpädagogischen Förderbedarf” decken. Im Ort gab es sogar 2, aber einer hatte keinen Platz, der andere sagte explizit: Keine Autisten.

      Ergebnis wir mussten umziehen in ein Dorf im Umland ohne Auto, mit mieser Busanbindung.Der Kindergarten war auch nur vormittags, musste meine Ausbildung abbrechen. Die Therapeutin im KG waren dann auch noch so nett mir ins Gesicht zu sagen, dass sie glaubt ich würde meinem Sohn den Autismus anerziehen. (Ist 12 Jahre her, das Thema Kindergarten ist immer noch nicht einfach für mich)

  9. Vverkopft sagt:

    Eine traurige Geschichte, auf gleich mehreren Ebenen.

    Auf den ersten Blick eine Geschichte, in der ausnahmsweise keine Institutionen, keine Lehrer oder Erzieher Inklusion verweigern. Im Gegenteil, die KiTa-Leiterin weiß so ungefähr, was sie mit dem Mädchen erwarten würde, und heißt sie willkommen.

    Hier ist es die Mutter, die Inklusion verweigert. Die bewusst den Sonderweg Sonderkindergarten, Förderschule, WfbM wählt. Und es macht mich traurig, dies, und auch, dass sie mit diesem Argument ihrem Kind vermutlich auch alle möglichen anderen Gelegenheiten zur Teilhabe vorenthalten wird. Und das ist mit ein Grund, warum diese Sonderwege abgebaut werden müssen.

    Aber es fragt sich auch, warum sie das tut. Könnte dieses Netz, diese nötige Unterstützung, nicht auch anders aufgebaut werden? I-Kraft, Schulbegleitung, Arbeitsassistenz, ambulant betreutes Wohnen?

    Die Mutter sieht das nicht. Sieht nicht, dass das möglich sein könnte, oder zumindest nicht ohne zermürbende Kämpfe, die kein Elternteil für die gesamte Lebenszeit ihres Kindes sicherstellen kann.

    Und das ist das eigentliche Problem. Dass es nicht selbstverständlich ist, dass Behinderte die Hilfen bekommen, die ihnen zustehen, ohne dass entweder sie oder ihre gesetzlichen Vertreter die Gesetze aus dem Effeff kennen, ohne dass man sich an Fehlinformationen und Ablehnungen durch Ämter vorbeikämpfen muss. Und dass in der Öffentlichkeit solche inklusiven und selbstbestimmten Modelle zu wenig bekannt sind, als dass Eltern sie für ihre Kinder als eine Selbstverständlichkeit einfordern.

    Ich hoffe für das Mädchen, dass die Eltern noch mal die Kurve kriegen, und doch Inklusion wagen und schauen, ob auch das ihr Kind tragen kann. Ich befürchte, dass es nicht so kommt. Der Sonder-Weg ist zu ausgetreten.

  10. Claudia sagt:

    Klingt als ob da jemand eine „Beratung“ gehabt hätte. Ich kenne sowas von Eltern, die bei einer Schulberatung waren. Sehr schade, waren es doch ideale Voraussetzungen.
    Hoffentlich wird es kein Netz, das gefangen hält.

    • Anonymous sagt:

      Ja, das klingt sehr nach “professioneller Beratung”. Ohne eine solche Beratung schlechtzureden – hier vor Ort hätte das Kind optimale Unterstützung vorgefunden. Ich meine damit nicht, dass es plötzlich gesund gewesen wäre mit der Lösung vor Ort. Nein, aber es war willkommen, die Geschwister nebenan, die Inklusion wollte gelebt werden. Und da das Kind ja schon angemeldet war, muss sich hier wirklich jemand grosse Mühe gemacht haben, das ach so wichtige Netz als so notwendig anzupreisen. Im ersten Moment sieht es einfacher aus, mit dem Bus abgeholt zu werden und viel weniger Kosten zu haben. In diesem Fall überwiegen mittel- und langfristig gesehen aber die Nachteile. Ich hoffe sehr, dass dem Kind der Weg in die Inklusion dann nicht verwehrt wird, wenn die Eltern sehen, dass die Sonderschulung nur ein kleiner Umweg sein sollte.

      • Xyz sagt:

        Warum ist es so schwer die Entscheidung einer anderen Person einfach zu respektieren? Warum wird der Mutter hier alles mögliche unterstellt ohne sie zu kennen? Warum gibt es hier immer nur schwarz oder weiß und keine Zwischentöne?

  11. Moma sagt:

    Ich weine…

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