Da ist nichts

DER JUNGE wird morgens mit einem Fahrdienst in die Schule gebracht.
Seit einiger Zeit will er nicht mehr in den Kleinbus einsteigen.
Warum nicht, kann er nicht sagen, denn er spricht nicht.
Die Mutter ist jetzt schon mehrmals mit der Beifahrerin aneinandergeraten, weil diese ihn in den Bus gezerrt hatte.
„Ist denn irgendwas passiert oder anders?“, fragt sie.
„Nein“, sagt die Beifahrerin genervt, „nicht dass ich wüsste. Aber von den Lehrern höre ich ja, dass Ihr Sohn gerne mal rumzickt. Der muss lernen, sich zusammenzureißen. Sonst bleibt er halt zu Hause!“
Die Mutter ist verzweifelt. Jeden Tag ein Kampf. Sie ruft eine andere Mutter an. Auch deren Tochter fährt mit dem Bus. „Kannst Du sie mal fragen, ob sie ein Idee hat, was da los ist?“
Nach ein paar Tagen meldet sich die Mutter. Da sitze jetzt immer ein anderer Junge neben dem Jungen, der ihm was ins Ohr flüstert.
Die Mutter bittet die Beifahrerin, einmal darauf zu achten. „Quatsch“, sagt die, „da ist nichts! Manche Behinderte haben wirklich eine blühende Phantasie!“
Nach ein paar weiteren Tage meldet sich die andere Mutter: „Meine Tochter hat mir jetzt erzählt, was der andere Junge zu deinem Sohn sagt: Er flüstert immer und immer wieder leise mit monotoner Stimme: Ich töte Deine Mutter!“

Die Geschichte vorgelesen …

3 Kommentare

  1. Anonymous sagt:

    Welche fachliche Qualifikation haben die Menschen, die Menschen mit Beeinträchtigung befördern? Im Zweifelsfall keine. Wichtig ist immer nur, dass sie für möglichst wenig Geld arbeiten. Ich kenne einen Mann, der “vorher” LKW-Fahrer war. Während der Corona Zeit waren übrigens diverse Beförderer pleite, weil ja niemand zu befördern war.

  2. Robert Müller sagt:

    Wie schrecklich! So eine ähnliche Geschichte hat bei unserem Sohn eine Angsstörung ausgelöst, die sich in der Lock-Down-Zeit massiv verstärkt hat. “Kleiner” Unterschied, unser Sohn kann sich ausgezeichnet artikulieren. Ich stell mir das immer vor, wie geht es den Kindern und Jugendlichen, die diesem System ausgeliefert sind, ohne sich ausdrücken zu können?
    Es geht hier eigentlich um institutionale Gewalt, nicht nur um “individuelles Mobbing”!

    • Bauchgefühl sagt:

      Danke für diese mutige Aussage zur institutionalen Gewalt.
      Es ist wichtig hier immer wieder die Decke anzuheben.

      Nebenbei: welche Kreisverwaltungsbehörde oder Schulbehörde hat die Richtlinien für den Behindertenschulbustransfer veröffentlicht? Finden sich darin auch ggf festgelegte Sonderwege für (zeitweisen) Einzeltransport von MmB? Es kann immer mal zu extremen körperlichen und emotionalen Sonderfällen in den Bussen kommen. Sind die Ansprechpartner offen benannt?

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