Falsche Vorstellungen

Wie geht es nach der Sekundarstufe 1 für DEN JUNGEN weiter?
Wenn er nicht an die Sonderschule zurück will, gibt es kaum Möglichkeiten.
Die Mutter erkundigt sich im Schulamt.
Sie könne ja mal bei einer berufsvorbereitenden Klasse nachfragen, rät man ihr.
Vielleicht wäre eine Berufsschule bereit, den Jungen dort aufzunehmen. Ausnahmsweise.
Die Mutter hängt sich ans Telefon.
„Von den Schülern da hat aber keiner einen Schulabschluss“, sagt der Rektor zu ihr.
„Ja, ich weiß“, antwortet die Mutter, „mein Sohn auch nicht.“
„Ich bin ein bisschen überrascht, dass Sie Ihren Sohn dort haben wollen. Normalerweise kommen die nicht freiwillig zu uns, sondern weil sie noch Schulpflicht haben. Sie wissen schon, was das für eine Klasse ist, oder?“, fragt der Rektor.
„Was meinen Sie genau?“, hakt die Mutter nach.
„Na ja, nicht, dass Sie falsche Vorstellungen haben: Viele Schüler kommen nur selten, und wenn sie da sind, stören sie oder beleidigen unsere Lehrer. Gewalt, sexuelle Übergriffe, Mobbing – das sind bei uns tägliche Themen. Also, bevor wir uns überhaupt mit dem Stoff beschäftigen…“
„Hm…“, sagt die Mutter nachdenklich.
„Alle unserer Schüler haben einen Sack voller Probleme. Welches Problem hat denn Ihr Sohn?“
„Na ja, nicht, dass Sie falsche Vorstellungen haben“, antwortet die Mutter, „ein Problem in Ihrem Sinne hat er nicht. Er ist behindert.“

Ein Nixklusionsmännchen, das telefoniert.

Die Geschichte vorgelesen …

10 Kommentare

  1. Anonymous sagt:

    So etwas habe ich bei meinem Kind erlebt, als es von einer Sonderschule auf eine Regelschule wechselte. Die Klassenlehrerin in der Sonderschule hatte mich zig Mal gefragt, ob ich mir auch wirklich sicher sei diesen Weg zu gehen. Sie hatte mich immer wieder darauf aufmerksam gemacht, dass Gewalt in Regelschulen an der Tagesordnung seien.
    Mein Kind hatte den Wechsel gewagt und wurde in all den Jahren kein einziges Mal schief angeguckt oder gemobbt.

  2. Anonymous sagt:

    Falsche naive Vorstellungen sind weit verbreitet. Lehrer und Schulleiter wissen, wovon sie reden.

    • Hans sagt:

      „Lehrer und Schulleiter wissen wovon sie reden“…… auch diese Aussage kann man so oder so deuten. Die Erfahrungen , Empfindungen und auch Fakten der beteiligten Parteien darf man – mit Recht- nicht außen vor lassen. Vielleicht fehlt beim „Management“ die nötige Veränderungsfähigkeit und die nötige Veränderungswilligkeit. Dies sollten Schlüsselkompetenzen der modernen Führungskultur sein. Manchmal würde ich gerne Mäuschen bei den Gesprächen im Lehrerzimmer führen.

    • Anonymous sagt:

      Man darf nicht vergessen dass es nicht nur unter Schüler manchmal Zoff gibt, sondern auch unter Pädagogen.
      Meine Schwester ist Leiterin eines Kindergartens. Nicht nur einmal musste sie eine Supervision organisieren, wo Psychologen anwesend waren damit die Harmonie in der Einrichtung wieder hergestellt wird. Aber so etwas geschieht immer unter verschlossenen Türen, wo Eltern nichts davon mitkriegen.

      • Klaus sagt:

        Supervision unter Anwesenheit von Spezialisten sollten eigentlich keine Ausnahme , sondern regelmäßiger Standard pädagogisch tätiger Einrichtungen sein. Sind in der Theorie auch ein Zeichen für Professionalität und hoffentlich Qualität. In der Realität werden leider schon an Seminarschulen die jungen Referendare in den Lehrerzimmern …. dem Mainstream der Mehrheit des Personals …. geformt.
        Leider schon erlebt, dass ein Referendar Eltern regelrecht angelogen hat ….

  3. Ohneworte sagt:

    Selbst in den Förderzentren gibt es Resteklassen – die Frühstücken dann ganz oft , machen Yoga und Entspannung und gehen kaum an die Öffentlichkeit. Und in den Schulordnern des Kindes finden sich kaum Unterlagen. Die notwendigen Dokumentationen über Diagnostik und umfassender Förderplanung finden sich aber auch nicht in den Unterlagen. Aber das Sonderpädagogengehalt wird monatlich gezahlt. Ob sich die Eltern und die Politiker dass alles so vorgestellt haben?

    Die gesellschaftliche Umsetzung der UN Konvention ist eine Generationenaufgabe für die nächsten 100 Jahre. Deshalb ist es so wichtig immer wieder zu prüfen wo man steht und was erreicht wurde. Und welche nächsten Schritte geplant werden – und hier spreche ich nicht von Digitalisierung.

    Wir vertreten die Interessen unserer Kinder und müssen nicht „ausgewogen“ agieren.
    LG

    • Anonymous sagt:

      Stimmt! Die Schülerakten der Schüler mit erhöhtem Förderbedarf sind meistens leer. Keine sonderpadagogische Gutachten. Viele Kinder mit erhöhtem Förderbedarf landen per Mundpropaganda in Sonderschulen. Hauptsache die Sonderschulen erhalten ihre Schäfchen. Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen für Sonderpädagogen.
      Die meisten Eltern haben nicht mal Ahnung dass sie Recht auf Gutachten haben.
      Laut Schulbehörden soll der sonderpadagogische Förderbedarf der Schüler Jahr für Jahr von den Sonderpadagogen geprüft werden. Dabei sollen Jahr für Jahr Gutachten entstehen.
      Ich persönlich kenne niemanden der so was hat.
      Na ja, man muss bedenken, dass sobald ein Kind in einer Sonderschule landet kaum eine Chance auf Verbesserung hat. Die meisten Kinder dort, erhalten keine Schulbücher. Die Sonderpadagogen sehen vermutlich keine Notwendigkeit Gutachten zu erstellen.

  4. Fan des Illustrators sagt:

    Die Geschichte könnte unsere sein. Jedenfalls haben wir das genauso erlebt. “Resteklasse” wurde die Klasse an der Berufsschule genannt.
    In unserem Schulsystem wird nach wie vor sortiert!
    Sortieren bringt unweigerlich “Reste” hervor.
    Dass das mit unserem Grundgesetz und der BRK nicht zu vereinen ist, ist allen klar, (… oder … ?)
    aber trotzdem verändert sich nicht viel in Deutschland.

    Gute Illustration!

  5. Anonymous sagt:

    Aus so vielen Perspektiven und auf so vielen Ebenen ebenso realistisch wie elend !!!
    Für mich eine Favoriten-Geschichte, sicher auch weil hier mehrere Blickwinkel zugelassen werden und so alle Beteiligten mit im Boot sitzen, wenn auch nicht im selben !

    LG !

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