Gute Gründe

Die Mutter des JUNGEN MANNES trifft sich endlich mal wieder mit einer guten Freundin.
„Und“, fragt sie, „wie geht es eurem Sohn? Habt ihr ihn inzwischen aus der Einrichtung abgemeldet?“
„Nein“, sagt die Freundin, „mein Mann und ich haben uns doch anders entschieden. Er hat da alles, was er braucht: Unterstützung beim Wohnen, verschiedene Freizeitangebote, eine Arbeit, die er nie verlieren kann – das ist ja wie ein ganzes Dorf: ohne Hektik, ohne Leistungszwang, so ganz anders als bei uns!“
Die Mutter wundert sich: „Aber vor ein paar Wochen wart ihr doch noch ganz sicher, dass euer Sohn dort unterfordert ist! Du meintest, mit ein bisschen Unterstützung könne er in eine eigene Wohnung ziehen und eine Stelle auf dem ersten Arbeitsmarkt bekommen.“
„Ja, das stimmt natürlich immer noch.“ Die Freundin nickt. „Aber ein Gespräch mit dem Einrichtungsleiter hat uns die Augen geöffnet. Er hat ganz klar gesagt: Sie würden unseren Sohn nur ungern gehen lassen, aus Fürsorgegründen, denn so ein selbständiger Weg beinhalte ja auch das Risiko, zu scheitern. Dort in der Werkstatt ist unser Sohn einer der leistungsstärksten. Wenn er normal arbeitet, sieht das ganz anders aus. Und die wirtschaftliche Absicherung ist natürlich auch unschlagbar. Unser Sohn verdient zwar so gut wie nichts, aber er muss ja auch nichts bezahlen. Alles was er braucht, gibt es dort! Und schon nach zwanzig Jahren kann er eine gute Rente beantragen!“
„Hmm“, sagt die Mutter nachdenklich.
„Ja, und: Unser Sohn ist der einzige Bewohner dort mit Führerschein. Er fährt immer seine ganze Außenarbeitsgruppe zum Einsatzort. Das hat der Leiter noch einmal extra betont. Das ist doch auch wirklich schön, oder?“

Die Geschichte vorgelesen …

5 Kommentare

  1. Anonym sagt:

    Mir ging die Geschichte vor ein paar Tagen noch durch den Kopf. Was sagt eigentlich der Zoll dazu? Das ganze könnte man als Aushebelung des Mindestlohn betrachten.

  2. L.F. sagt:

    Hmm, interessant das den JUNGEN MANN laut Geschichte keiner gefragt hat und einfach so entschieden hat das es für ihn besser wäre, ohne Risiken zu leben, und das wo doch die "dignity of risk" und das Unterschlagen dieser meines Wissens ein zentrales Thema bei der Diskussion von Behindertenrechten ist.

  3. Fan des Illustrators sagt:

    Ob der junge Mann in einem Dorf für Menschen mit Behinderung seine individuellen Lebenswünsche verwirklichen kann, sei mal dahingestellt.
    Auf jeden Fall ist er als Werkstattbeschäftigter ganz eindeutig schlechter gestellt als ein Arbeitnehmer auf dem 1. Arbeitsmarkt, denn er wird nicht fair entlohnt, sondern bekommt nur ein Taschengeld.

    Jeder Arbeitgeber hat Verpflichtungen u.a. auch eine Fürsorgepflicht gegenüber seinen Arbeitnehmern. Eine zentrale Pflicht des Arbeitsgebers ist die Bezahlung eines Lohnes, dessen Höhe den Mindestlohn nicht unterschreiten darf, und die Soziale Sicherung durch die Abfuhr von Sozialabgaben.

    Daher finde ich die Argumentation des Einrichtungsleiters „aus Fürsorgegründen“ scheinheilig und niederträchtig!

    …ganz besonders, wenn ich die Illustration der treuherzig dreinblickenden Außenarbeitsgruppe betrachte…

  4. Anonym sagt:

    Üblich ist das ja nicht, dass Leute, die fit genug für den Führerschein sind, in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderungen arbeiten. Habe ich noch nie erlebt. Dann noch andere Personen befördern. Braucht er dafür nicht einen speziellen Führerschein?
    Typisch ist das nicht für Werkstattmitarbeiter. Dieses Beispiel taugt nicht als Argument gegen den Nutzen von Werkstätten für wirklich behinderte Menschen. Es lenkt nur von den Tatsachen ab.

  5. Anonym sagt:

    Für die Einrichtung ist das doch leicht verdientes Geld. Man wundert sich nur, dass der Kostenträger das so mitmacht.

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